Die verfälschte Rede

Eine Rede des John F. Kennedy erfreut sich unter Verschwörungsfans großer Beliebtheit. Sie tauchte im ersten „Zeitgeist”–Film auf und verbreitete sich nach dessen Erscheinen im Internet. Auf verschiedenen Videoportalen existieren gekürzte Versionen der Rede, die die Behauptungen des Verschwörungsmilieus belegen sollen: John F. Kennedy hätte vor einer globalen Verschwörung gewarnt und sei deswegen ermordet worden.

Er sei eine der ersten Personen gewesen, die vor der angeblichen „Neuen Weltordnung”gemahnt hätten, die nun von geheimnisvollen Mächten umgesetzt werden würde. Neben der „Ick bin ein Berliner”–Rede ist diese Ansprache des John F. Kennedy die in Deutschland am weitesten verbreitete Rede des ehemaligen amerikanischen Präsidenten, sie existiert in mehreren Versionen, die teilweise mehr als eine Million Mal angeklickt wurden.

Doch es handelt sich um eine plumpe Verfälschung. Die etwa halbstündige Rede wurde auf wenige Minuten verkürzt und aus dem Kontext gerissen. So etwa in einem Video, das von dem Macher von „Wahrheitsbewegung.net” veröffentlicht wurde. In dem kurzen Video erscheint es tatsächlich so, als würde Kennedy vor einer geheimnisvollen Macht warnen. Dabei war seine Warnung durchaus konkret. Von diesem Umstand kann sich jeder Mensch überzeugen, der sich die Mühe macht und die originale Rede anschaut, deren Transkription einsehbar ist.

Kennedy sprach am 27. April 1961 in New York vor versammelten Pressevertreter_innen der „American Newspaper Publishers Association”. In seiner Rede warnte er vor einer „ruchlosen und monolithischen Verschwörung”, die „ihren Einfluss mit verdeckten Mitteln” ausbreiten würde. Die Mittel dieser„Verschwörung” seien unter anderem Einschüchterung statt Selbstbestimmung und Umsturz statt Invasion.

Das erfreut das Herz des Verschwörungsfans, der hinter dieser „ruchlosen und monolithischen Verschwörung” nur die angebliche Weltverschvörung verorten kann, die angeblich fleißig an der „Neuen Weltordnung” arbeitet. „Kennedy warnte vor der Weltverschwörung”, behauptet das strukturell anitsemitische Verschwörungsweblog „Alles Schall und Rauch”. Doch John F. Kennedy meinte nicht jene angeblichen Weltverschwörung, die ohnehin nur in den Köpfen der Verschwörungsfans existiert, sondern sprach ganz konkret von den sozialistischen Staaten und dem Kalten Krieg.

Diesen Staaten unterstellte er, in einer antikommunistischen Tradition, globale Umsturzpläne. Er warnte nicht vor der „Neuen Weltordnung” oder einer Verschwörung amerikanischer Institutionen, sondern vor der angeblichen Gefahr der Staaten, die sich sozialistisch nannten und die einen „Kalten Krieg” führen würden. In diesem Zusammenhang ergibt die Rede, die von Verschwörungsfans vollkommen aus diesem Zusammenhang gerissen wird, auch deutlich mehr Sinn.

Selbst in der Version der Verschwörungsfans ist zu hören, wie Kennedy vor „Guerilla-Kämpfern bei Nacht, anstatt vor Armeen am Tag” warnte. Eine Guerilla hatte das Regime des kubanischen Despoten Batista gestürzt, in vielen südamerikanischen Staaten waren ebenfalls militante Gruppen aktiv, die zwar nicht an der „Neuen Weltordnung”, dafür aber am Sturz der jeweiligen Regime arbeiteten. Diese Guerillas wurden tatsächlich teilweise von verschiedenen Staaten unterstützt, die sich sozialistisch nannten. Dies war ein Baustein für antikommunistische Verschwörungsmythen, die nicht erst zu Zeiten Kennedys entstanden. Deswegen appellierte Kennendy in seiner Rede auch an die versammelten Zeitungsmacher_innen und Journalist_innen. Kennendy empfahl ihnen eine Art Selbstzensur. Sie sollten bei jeder Nachricht die Frage zu stellen, ob sie im „Interesse der nationalen Sicherheit” wäre.

Man sieht, dass die damalige Warnung des John F. Kennedy eine konkrete antikommunistische Grundlage hatte. Doch die heutigen Verschwörungsideologen und Verschwörungsfans interessieren sich nicht für derartige Tatsachen. Stattdessen reißen sie die Rede aus ihrem historischen Kontext und kürzen sie um die entscheidenden Stellen. Diese Teile der Rede kommen in den Videos der Verschwörungsideologen überhaupt nicht vor.

Dafür produzieren sie ihren eigenen Mythos, vom aufrechten Präsidenten, der für seine Warnung ermordet worden wäre. Das Video von „Wahrheitsbewegung.net” endet mit Bildern, die den Anschlag auf Kennedy in Dalles zeigen. Dieser sei für seine Rede ermordet worden, suggerieren Verschwörungsideologen. Dabei liegt zwischen der Rede am 27. April 1961 und dem Attentat am 22. November 1963 eine Zeitspanne von mehr als zwei Jahren Weltgeschichte.

Auf „Warheitsbewegung.net” phantasiert der Urheber darüber, dass es heute noch schlimmer geworden sei. „Der militärisch-industrielle Komplex produziert Computerspiele, die angefüllt sind mit der Agenda der neuen Weltordnung. Einstmals freie Menschen wurden zu Zeitarbeitsklaven,  die ihre Freizeit in virtuellen Spielwelten verbringen”, behauptet er.

So wird ein Verschwörungsmythos produziert, der nichts mit der realen Rede und ihren historischen Hintergründen zu tun hat. Verschwörungsideologen und ihre Fans werden sich dennoch nicht davon abhalten lassen, die Rede des John F. Kennedy weiterhin aus dem Zusammenhang zu reißen, zu verfälschen und umzudeuten. Der Umgang mit der Rede des John F. Kennedy zeigt allerdings deutlich auf, wie Verschwörungsideologen arbeiten, um ihre ganz spezielle Sicht auf die Dinge zu verbreiten

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