Anthroposophische Vergangenheitsbewältigung

In der aktuellen Ausgabe der anthroposophischen Monatszeitschrift „Erziehungskunst“, einem Werbeblatt rund um die Waldorfschulen, geht es um die angeblichen Gefahren des Fernsehens für Babys, anthroposophische Erlebnispädagogik und um das „Böse“.

In einem Interview mit Wilfried Jaensch, der am „Seminar für Waldorfpädagogik“ in Berlin Waldorflehrer ausbildet, geht es unter anderem um die deutsche Geschichte, um die Rote Armee Fraktion und um die selbst gestellte Frage: „Könnte ich Menschen ins Gas schicken?“

Das ist eine Frage, die sich Jaensch in seinen „inneren Monologen“ stellt, wenn er sich mit einem seiner Themen beschäftigt, das im Interview „das Dritte Reich“ genannt wird. Jaensch reformuliert dort einen weit verbreiteten politischen Standpunkt, der als Erklärungsansatz für Freundinnen und Freunde der Waldorfschulen dient. Kurz zusammengefasst lautet dieser Ansatz: Gerade aufgrund der historischen Ereignisse zwischen 1933 und 1945 seien „die Deutschen“, als neu geeintes nationales Zwangskollektiv, nun in der Lage, sich dem „Guten“ zuzuwenden, „gute“ Kriege zu führen sowie eine „gute“ Gesellschaft aufzubauen, die sich nicht trotz, sondern aufgrund von Auschwitz allen anderen Gesellschaften überlegen fühlt. Diesen Gedanken formuliert Jaensch auf anthroposophische Art und Weise, im bekanntesten anthroposophischen Magazin aus dem Umfeld der Waldorfschulen.

Dort berichtet Wilfried Jaensch, dass er schon im Alter von fünfzehn Jahren im Ausland zu hören bekommen hätte, „wir Deutschen seien Verbrecher“. Gegen diesen Gedanken habe sich Jaensch weitere „fünfzehn Jahre gewehrt“, bis er auf die wahnwitzige Idee gekommen ist, die deutsche Schuld für sich selbst zu affirmieren:

Ich sagte zu mir selbst: Ja, ich gehöre dazu. Ich bin ein Verbrecher.

Aus dieser frei gewählten Zugehörigkeit zu den Täterinnen und Tätern, die während des Nationalsozialismus ihr Vernichtungspotential unter Beweis stellten, will Jaensch noch einen esoterischen Vorteil ziehen. Er habe – wie seine deutschen Vorfahren – „die Grenzen der bisherigen Menschheit überschritten“. Als„Deutscher“ sei er „fähig zum bewusst Bösen“ und könne sich daher dem „bewusst Guten“ widmen.

Vom anthroposophischen Autor, der mehre Bücher verfasst hat, sind auch andere Reden überliefert, die ein ganz spezielles Geschichtsverständnis deutlich machen, das sich unter Anthroposophinnen und Anthroposophen großer Beliebtheit erfreut:

Am 21.12.2012 zur Wintersonnenwende tritt Mutter Sonne aus der Vagina der Galaxis.

So schreibt Jaensch in seinem Blog. Eine ausführlichere Rede, ohne „Mutter Sonne“, hielt Jaensch am anthroposophischen „Ita Wegmann-Therapeutikum“, die sich der „anthroposophischen Medizin“ verschrieben hat, die als „eine Erweiterung der naturwissenschaftlichen Medizin“ verkauft wird. Hier redete Jaensch vom „Dritten Reich“, dass einerseits eine „fast göttliche Verehrung des Menschen“ hervorgebracht hätte. Auf der anderen Seite habe es aber auch eine „fast nicht nachvollziehbare Menschenverachtung, (…) eine Menschenvernichtung“ gegeben. Später wurde die „Bundesrepublik (…) einfach draufgeklatscht auf das Ganze“.

Jaensch fordert daher eine neue Verfassung, in der auch die „Verstorbenen und Ungeborenen“ berücksichtigt werden müssten. Von diesen fühlt Jaensch sich nämlich umgeben. Bereits der Guru der Anthroposophie, Rudolf Steiner, habe nach der Ermordung Rosa Luxemburgs, „mit der Verstorbenen gesprochen“, behauptet Jaensch. Der glaubt nämlich, dass die „Verstorbenen und Ungeborenen sehr wohl da“ sind. Daher müssten ihnen „Menschenrechte gewährt“ werden:

Wenn wir das aber angehen, dann käme eine Verfassung des Bewusstseins zustande, die in Deutschland ja noch aussteht, wie Sie wissen. Wir haben ja noch keine neue deutsche Verfassung.

Wilfried Jaensch ist ein typischer Anthroposoph, dessen Esoterik und seltsamer Blick auf die Vergangenheit, dazu führen, dass er auch politische Forderungen stellt:

Wenn die Anthroposophen in der Mehrheit wären, hätten wir längst den Faschismus.

Dies erzählte Jaensch seinen Schülerinnen und Schülern, die als angehende Waldorflehrerinnen und Lehrer eine gemeinsame Pause verbrachten, erinnert sich der Waldorfkritiker Andreas Lichte. Solche politischen Forderungen führen selbst verständlich nicht dazu, dass Jaensch keine weiteren Lehrerinnen und Lehrer für die Waldorfschulen ausbilden darf. Ganz im Gegenteil qualifizieren sie anscheinend für ausführliche Interviews in der „Erziehungskunst“, die mit einer Auflage von 70.000 Exemplaren erscheint und für die Welt der Waldorfschulen wirbt.

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