Eisiger Hitler

In den vergangenen Tagen machten die BILD-Zeitung, die Augsburger Allgemeine und sogar das Spiele-Magazin PC Games mit ganz besonderen Artikeln auf sich aufmerksam: „Nazi-Diktator Adolf Hitler (1889–1945) könnte im ewigen Eis der Antarktis begraben sein”, behauptete beispielsweise die BILD und berief sich auf die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti. In den Zeitungen wurde der ganz besonders deutsche Neuschwabenlandmythos reproduziert, auch wenn dieser als „Irre Russen-Theorie”verkauft wurde.

Die Nachrichtenagentur Ria Novosti hatte in einer Mitteilung davon geschrieben, dass „alte Mythen” wieder „ins Leben gerufen” werden. „So ist auf der russischen Webseite ezobookslibrary.ru unter Berufung auf Geheimdokumente des Dritten Reiches zu lesen, dass 1940 in der Antarktis auf persönliche Anweisung des ‘Führers’ mit dem Bau von zwei unterirdischen Stützpunkten begonnen worden sei”, hieß es in der Mitteilung der staatlichen Nachrichtenagentur. Die von ihr zitierte Internetseite propagiert verschiedene esoterische und verschwörungsideologische Themen in russischer Sprache. In der Mitteilung der Nachrichtenagentur finden sich ansonsten alle gängigen Neuschwabenland-Mythen: Einige Nazis hätten in der Antarktis eine geheime Basis errichtet, Hitlers Leichnam wird in der Mitteilung der Nachrichtenagentur allerdings nicht erwähnt.

Aus dieser merkwürdigen Mitteilung bastelte die BILD-Zeitung trotzdem den noch merkwürdigeren Artikel über Adolf Hitler, der „im ewigen Eis begraben sein” könne. Die Einordnung, die die Nachrichtenagentur vornahm, wird dort verschwiegen. Von „Mythen” ist in der BILD-Zeitung nichts zu lesen. Dafür heißt es in Anführungszeichen:

‘Hitler liegt im ewigen Eis der Antarktis begraben’.

Dieses angebliche Zitat, das als reißerische Überschrift verwendet wurde, findet sich allerdings nicht in der Mitteilung der Nachrichtenagentur. Aber für ein bisschen Hitler-Gruselei, die an altdeutsche Hoffnungen und Verschwörungsmythen vom Neuschwabenland anknüpft, kann man ja schon mal Anführungszeichen um die eigene Überschrift setzen, um dem Verschwörungsmythos hehre, russische Weihen zu verleihen.

Ähnlich dreist trieb es die „Augsburger Allgemeine”: Sie verschwieg ebenfalls die von der Nachrichtenagentur benannte Quelle, eine esoterische Verschwörungswebsite, und behauptete, dass einige Forscher_innen, die gerade in der Antarktis buddeln, die Verschwörungstheorie vom eisigen Hitler aufgestellt hätten: „Mehr als 30 Jahre bohrten sich russische Forscher durch das fast vier Kilometer dicke Eis. Nun spekulieren sie, ob dort Adolf Hitlers Leichnam einst versenkt wurde”, hieß es dort reißerisch. Dabei beweisen die Artikel vor allem eines: Der Neuschwabenlandmythos ist gesellschaftsfähig, auch und gerade in Deutschland.

Neuschwabenland? So nennt sich tatsächlich ein kleiner Landstrich in der Antarktis, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunders von einer deutschen Forschungsexpedition bereist wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg geisterte ein Traum durch die Köpfe einiger Nazis, die ihre eigene Niederlage auf diese Weise rationalisierten. Einige Führungspersonen der Nazi-Elite seien vor Kriegsende in eine geheime Basis in die Antarktis geflohen, um von dort den Weltkrieg fortzuführen.

Beweise gab es verständlicherweise keine, dafür erschienen die Berichte einiger äußerst unseriöser Zeitzeugen und Verschwörungsideologen, die verschiedene Bücher zum Thema verfassten. So pro­pa­gier­te der ar­gen­ti­ni­sche Jour­na­list La­dis­las Szabo bereits in den 40er Jahren die Vor­stel­lung einer Flucht Hit­lers in die Antarktis. : „Hit­ler está vivo” („Hit­ler ist am Leben”) er­schien 1947 im ar­gen­ti­ni­schen Taba­no-​Ver­lag und wurde zu einem Best­sel­ler der damaligen Verschwörungsliteratur.

In den 70er Jahren stellte der esoterische Nationalsozialist Mi­guel Ser­ra­no die Behauptung auf, dass einige Mitglieder der Nazi-Elite im ewigen Eis überlebt hätten. Sie würden von dort den zweiten Weltkrieg fortführen. popularisierte Serrano damals derartige Theorien, die von denen geschaffen wurden, die den Tod ihres Idols Adolf Hitler nicht verwinden konnten.

Vermischt wurde das Märchen vom lebenden Hitler mit einem gehörigen Schuss Esoterik, mit Science-Fiction und mit Verschwörungsideologie: Da war von geheimen Basen in der Erde die Rede, die in Wirklichkeit hohl sei und von „Ariern” besiedelt wurde. Diese würden mit ihren geheimen „Reichsflugscheiben” den Krieg gegen die Alliierten und ihre angeblichen Hintermänner fortführen, was auch der Grund für die zahlreichen UFO-Sichtungen sei.

„Die Arier stam­men ur­sprüng­lich nicht von der Erde. Ihre Vor­fah­ren sind weiße Göt­ter, die bei der Schwar­zen Sonne leb­ten, die viel­leicht sogar in einer an­de­ren Di­men­si­on liegt (…). Adolf Hit­ler ist nicht tot. Er lebt und kämpft im In­ne­ren der Erde (…), des­sen Ein­gang in der Ant­ark­tis ist. In­zwi­schen ist er viel­leicht sogar per UFO im Welt­all verschwunden“.

Bis heute gibt es Anhänger_innen dieser merkwürdigen Theorie: Alte und neue Nazis begeistern sich ebenso für diesen Verschwörungsmythos wie Verschwörungsfans. Der antisemitische Ver­schwö­rungs­ideo­lo­ge „Jan van Hel­sing“ (ei­gent­lich: Udo Holey) be­haup­tet sogar, dass die Südpol-​Na­zis Kontakte zu außerirdischen „Ari­ern“ vom Planeten Aldebaran pfle­gen wür­den.

In Berlin-Britz kommen deutsche Nazis und Verschwörungsideologen regelmäßig zum „Neu-Schwabenland-Treffen” zusammen. Das Treffen wurde 2003 von Thomas Keller, Kawi Schneider, Dr. Axel Stoll und Peter Schmidt begründet, hier lebt das „Deutsche Reich” in den Grenzen von 1939 fort. Auf den Internetseiten der Szene finden sich Hitler-Reden, das Programm der NSDAP und die Texte verschiedener Verschwörungsideologen, die den Neuschwabenlandmythos in ihren Büchern reproduzieren.

Dieser Wahn wurde nun auch in der BILD-Zeitung, in der Augsburger Allgemeinen und in anderen Zeitungen aufgegriffen. Von einer kritischen Auseinandersetzung sind die Artikel allerdings allesamt Lichtjahre entfernt. Stattdessen wurde die obskure Mitteilung einer russischen Nachrichtenagentur verfremdet und aus dem Zusammenhang gerissen, um den Traum von den Nazis im Neuschwabenland aufleben zu lassen. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die diesen verschwörungsideologischen Mythos am Leben halten. Wahrscheinlich werden die Artikel demnächst in den Foren und auf den Internetseiten dieser Verschwörungsfreaks als Beweis für die angebliche Wahrheit über Adolf Hitler aufgeführt werden.

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