Occupy? Was war das noch? Erinnert sich noch jemand? Am 15.10.2011 gingen Zehntausende in Deutschland auf die Straße. „Wir sind die 99 Prozent“, lautete eine mehr als selbstbewusste Parole der Demonstrant_innen. „Wir sind das Volk“ war eine andere Parole, die deutlich machte, dass die Demonstrant_innen an einen mehr als fragwürdigen Volksbegriff anknüpften. Nach den Demonstrationen entstanden in verschiedenen Städten kleinere Zeltlager, in denen die protestierenden Kleinbürgerinnen und Kleinbürger zusammenkamen, um als neue Wandervögel auf sich aufmerksam zu machen.
Zumindest dies ist ihnen zeitweilig gelungen: Es gab begeisterte Presseberichte über die Camps und Aktionen der selbsternannten „Bewegung“: „Hundetausende gegen das Kapital“, jubelte die TAZ, die Bild-Zeitung schrieb vom nackten Protest gegen die Banken. In verschiedenen Fernsehtalkshows durften sich die Sprecher der „Occupy-Bewegung“ darstellen und wurden als freundliche, friedliche und faszinierende Deutsche inszeniert, die eine berechtigte Kritik formulieren würden. „Das ist eine richtige Volksbewegung geworden“, jubelte Maybritt Ilner im ZDF. Doch die genaueren Inhalte, die viele Aktivist_innen vertreten wurden nicht näher thematisiert.
Viele Occupy-Aktivist_innen stammten aus dem verschwörungsidelogischen Milieu der „Truther“ und „Infokrieger“. Einige bezogen sich auf die antisemitische und geschichtsrevisionistische Zeitgeist-Film-Reihe. In diesen Verschwörungsfilmen wird eine geheime Elite konstruiert, die die Welt beherrschen würde. Eine derartige Denkweise war auch Grundlage der „Occupy-Bewegung“; die von den 1 Prozent sprach, die sie für alles Unrecht der kapitalistischen Vergesellschaftung verantwortlich machte. Als „Elite“ wurde auf den Aktionen der „Occupy-Bewegung“ wahlweise „Bankster“, „Politgangster“ oder gar das Bilderberger-Treffen ausgemacht. Verschwörungsideologen propagieren tatsächlich, dass auf diesem Treffen über die nächsten Schritte der angeblichen „Elite“ entschieden wird. Etwa wer der nächste Bundeskanzler sein wird. Aktuell wird dies dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück nachgesagt.
Die „Occupy-Bewegung“, in der derartige Theorien Gang und Gäbe waren, war vor allem eine Sammlungsbewegung aus wütenden Kleinbürger_innen und ebenso wütenden Verschwörungsfans. Sie war aber auch eine Bewegung, die nach ganz Rechtsaußen offen war: Rechtspopulisten verschiedenster Kleinst-Parteien in Frankfurt, Querfrontler wie Jürgen Elsässer in Berlin oder Holocaustleugner in Düsseldorf wurden von der „Occupy-Bewegung“ mindestens geduldet. Auf ihren Demonstrationen, die sie selbst Märsche nannten, konnte man ohne Mühen antisemitische Hetze, nationalsozialistische Phrasen und wütende Vernichtungsphantasien entdecken: Henry Ford, der nicht nur Autos produzierte, sondern auch antisemitische Hetze wie das Buch „Der internationale Jude’“ veröffentlichte, war eine oft zitierte Person innerhalb der „Occupy-Bewegung“. Im NS-Jargon war dort von „Zinsknechtschaft“ die Rede, auf der großen Occupy–Demonstration in Berlin waren Galgen auf Schildern zu sehen, die einige Aktivisten gebastelt hatten. „Eine Welt ohne 1 Prozent ist nötig“, hieß es auf einem anderen Schild.
Den Soundtrack zur Bewegung lieferte die verschwörungsideologische Band „Die Bandbreite“, die einige Märsche beschallte. In ihren Liedern geht es ganz verschwörungsideologisch zur Sache: Die USA werden nicht nur für die Anschläge des 11. September 2001, sondern auch für den Angriff auf Pearl Harbour verantwortlich gemacht. In ihrem aktuellen Album ist die anti-feministische Ikone Eva Herman zu hören, dort ist ganz verschwörungstheoretisch von der „Aids-Lüge“ die Rede. Das Lied „Was ist los in diesem Land“, in dem gegen „Schmarotzer“ und „Bonzen“ angesungen wird, schallte aus den Lautsprecherboxen in Berlin und in Frankfurt. „Mama weiß nichts mehr wie es weitergeht“, jammerte die Band dort. Dieser werfen Antifaschist_innen seit langem „sexistische, antisemitische und NS-relativierende Songtexte” vor, sie durfte trotz alledem auf den Demonstrationen und Aktionen der „Occupy-Bewegung“ auftreten.
Mit dem Winter schwand auch das Interesse an der „Bewegung“, die so hoffnungsvoll begonnen hatte. Am 15.01.2012 wollte man erneut auf die Straßen der Bundesrepublik gehen. Doch aus zehntausenden wurden tausend, wie zum Beispiel in Berlin. Aus tausend wurden ein paar hundert, wie zum Beispiel in Dresden. Es folgte kein Katzenjammer, denn die Aktivist_innen der Bewegung sind davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die 99 Prozent aktiv werden. So planen sie die nächsten Aktionen und werden wohl weiterhin aktiv sein.
Doch eines scheint nun sicher: Die „Occupy-Bewegung“ wird als kleine Polit-Sekte enden, die weiterhin gegen die 1 Prozent mobil macht. Die Aktivist_innen der selbsternannten „Bewegung“ werden allerdings weiterhin, auch in neuen Zusammenhängen und Strukturen, an der verschwörungideologischen Verklärung der Realität arbeiten. Sie werden weiterhin den Mythos von der angeblichen Elite propagieren, die für den Kapitalismus verantwortlich gemacht wird. Das Occupy-Label wird dann nicht mehr benutzt werden, sehr wohl aber die dahinterstehende regressive Ideologie.