Die Occupy-Demonstration in Berlin ging fast reibungslos über die Bühne. Etwa eintausend Menschen marschierten durch die Bundeshauptstadt. Damit waren es deutlich weniger Demonstrant_innen als im Jahr 2011, als noch mehrere tausend Menschen demonstrierten. Der Marsch im neuen Jahr wurde durch die üblichen Verdächtigen geprägt. Ein bunt-braunes Spektrum, von Hippies über Verschwörungsfans bis zu antisemitischen Aktivist_innen, beteiligte sich am Marsch der Occupy-Bewegung, für den diese mehrere Monate mobilisiert hatte.
Innerhalb der Demonstration wurden Flugblätter des „Zeitgeist-Movements” verteilt, das auf die strukturell antisemitischen Verschwörungsfilmchen zurückgeht. Einige Aktivisten der Gruppe „Berlin gegen den Krieg” bewarben die Verschwörungsdokumentation des Frieder Wagner, der in der Vergangenheit beispielsweise mit dem Querfrontler Jürgen Elsässer auf einer Veranstaltung aufgetreten ist. Der Anthroposoph Holger Niederhausen verteilte Flyer, in denen seine neuesten esoterischen Machwerke beworben wurden: „Ist die Schwelle des Todes überwindbar”, hieß es hier. Außerdem gab es verschiedene Transparente zu bestaunen, auf denen die Parole „Liebe” abgebildet war.
Des Weiteren waren die üblichen Forderungen auf Pappschildern zu lesen: Die deutschen Wutbürger protestierten gegen „Banken”, „Zinsen”, „Finanz-Mafia-Böcke” und „Dekadenz”, forderten eine Neuuntersuchung der Ereignisse des 11. Septembers 2001 und die Freiheit für den mutmaßlichen Vergewaltiger Julian Assange. Außerdem gab es buntere Schilder, auf denen anti-amerikanische Grafiken zu sehen waren.
Ein Schild zeigte beispielsweise einen Fantastilliadär à la Dagobert Duck. Dieser war in eine amerikanische Flagge gehüllt und sprang in seinen Geldspeicher. Mit einem anderen Schild klagte eine Demonstrantin: „Wir sind die Verwaisten des amerikanischen Traumes”. Am Ende des Demonstrationszuges posierten die Aktivist_innen der antisemitischen „Bürgerrechtsbewegung Solidarität” (BÜSO) mit einem riesigen Transparent, um vor dem angeblich beginnenden Dritten Weltkrieg zu warnen.
Die Occupy-Aktivst_innen hatten im Vorfeld des Marsches über eine Einladung der verschwörungsideologischen Band „Die Bandbreite” debattiert. Nach internen Debatten, bei denen eine absolute Minderheit gegen den drohenden Auftritt protestiert hatte, hatte ein Aktivist – der selber üblen verschwörungsideologischen Deutschrap produziert — behauptet, dass er der Band „leider keine Zusage von Occupy Berlin für einen Auftritt am 15. Januar” geben könne. Wahrscheinlich wurde diese Erklärung, die der Aktivist über die Occupy-Internetseite „Alex11” veröffentlichte, allerdings nur verfasst, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.
Kurz nachdem die Wutbürger ihren Marsch durch Berlin begonnen hatten, erklangen schließlich die ersten Töne des Liedes „Was ist los in diesem Land”, das von der Band „Die Bandbreite” stammt. Im Video zu diesem Song singt der Frontmann Marcel Wojnarowicz über einen„Völkermord” in Afghanistan, währenddessen ist eine Flasche Zyklon B zu sehen, das die Nazis nutzten, um die industrielle Vernichtung der Jüdinnen und Juden durchzuführen. Mit derartigen Gleichsetzungen betreibt „Die Bandbreite” eine ungeheure Verharmlosung der Shoa.
Auf dem neuesten Album, das „Reflexion” heißt, geht es auch um die verschwörungsideologische Verklärung der Krankheit AIDS. Im Intro zum Album ist die reaktionäre Anti-Feministin Eva Herman zu hören, die eine Demonstration bewirbt, an der die Band beteiligt war. Antifaschistische Kritiker_innen wie das „Dortmunder Antifa Bündnis” (DAB) warfen der Band in der Vergangenheit „sexistische, antisemitische und NS-relativierende Songtexte” vor. Doch auf dem Marsch der „Occupy-Bewegung” aus Berlin wurde die Band begeistert gefeiert.
So wagte sich der Sänger nach dem ersten Lied auch aus dem Lautsprecherwagen, um Gesicht zu zeigen und sich von den Demonstrant_innen bejubeln zu lassen, die zu den gruseligen Beats der Band tanzten.
Als drei vereinzelte Occupy-Anhänger_innen verbalen Protest artikulierten ließ Frontmann Wojnarowicz abstimmen. Seine Fans grölten begeistert, als er die Frage stellte, ob er noch ein weiteres Lied performen sollte. Es handelte sich um das Lied „Selbst Gemacht”, mit dem die Band die Frage stellt, ob verschiedene Ereignisse in Wirklichkeit durch amerikanische Institutionen begangen wurden. Die vereinzelten Kritiker_innen wurden übergangen, vom viel gerühmten Konsens-Prinzip, dem sich die Occupy-Bewegung angeblich verschrieben hat, war hier nichts zu bemerken.
Im Lied „Selbst Gemacht” wird die rhetorische Frage gestellt, ob die amerikanischen Institutionen „eigene Leute” während des japanischen Angriff auf Pearl Harbour „geopfert” hätten. Außerdem geht es um die Ereignisse des 11. Septembers, die ebenfalls verschwörungsideologisch verklärt werden. Der Song wurde begeistert beklatscht.
Vielleicht zeigt der Auftritt der Band, die bereits eine Demonstration in Frankfurt beschallt hatte, die politischen Positionierung der Occupy-Bewegung auf. Statt Gesellschaftskritik zu betreiben, werden hier verschiedene Verschwörungsmythen propagiert. Die Teilnehmer_innen imaginierten sich als die 99 Prozent, denen die 1 Prozent gegenübergestellt werden, die angeblich die Welt beherrschen. Kein Wunder, dass die verschwörungsideologischen Deutschrapper der Band „Die Bandbreite” auf derartigen Aktionen begeistert gefeiert werden. Es bleibt abzuwarten, an welcher Occupy-Aktion sich die Verschwörungsband das nächste Mal beteiligen wird.