Zehn Menschen sind tot. Dreizehn Jahre verrichtete eine rechte Terrorgruppe, die sich den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gegeben hatte, ihr mörderisches Handwerk, ohne dass bundesdeutsche Behörden den Nazi-Tätern auf die Spur kamen. Nun ermittelt das Bundeskriminalamt und ist auch auf der Suche nach den Unterstützern dieser Vereinigung. Am 13.11.2011 wurde beispielsweise Holger G. verhaftet, der den Mördern seine Ausweise hinterlassen haben soll. Beate Zschäpe, Mitglied des NSU, befindet sich bereits seit dem 08.11.2011 in Haft und spekuliert von dort auf Strafmilderung.
Die Terrorgruppe hatte in den vergangenen Jahren neun Migranten ermordet, Bomben gebaut und eine Polizistin hingerichtet. Journalist_innen gaben den Taten einen Namen. Es war von „Dönermorden“ die Rede. Dabei waren die meisten ermordeten Personen noch nicht einmal Dönerverkäufer, sondern beispielsweise Änderungschneider, Gemüsehändler, Kiosk- und Internetcafé-Besitzer, mit ganz konkreten Namen und einer Geschichte.
Hier wurde der rassistische Diskurs, dem viele deutsche Medien verfallen sind, offensichtlich. So berichtete der Spiegel vor mehr als einem Jahr besonders ausführlich über die„Dönermorde“, was von der rassistischen Internetseite „PI-News“ begierig aufgegriffen wurde. „Düstere Parallelwelt“, hieß es im Spiegel. Die PI-News-Rassisten veröffentlichten diesen Artikel erneut und sprachen von der „importierten ‚Organisierten Kriminalität‘ aus dem Morgenland“. „Spur der Döner-Mörder führt zur Wettmafia“, sekundierte der Spiegel in einem weiteren Artikel. Auch die BILD-Zeitung machte die Taten zum Thema. Sie präsentierte als Täter die „Drogenmafia“ oder die „organisierte Kriminalität“ und zitierte den Leiter einer Sondereinsatzkommision, der nicht ausschließen wollte, dass die Opfer „in der Drogenszene aktiv waren“.
Nur auf die naheliegende Vermutung, dass es sich um die Taten von Nationalsozialisten handeln könnte, ist niemand gekommen. Stattdessen ermittelten die Behörden im „Drogen-, Glücksspiel- und Schutzgeldmilieu“. In einem rassistischen Klima sollte dieser Umstand allerdings nicht verwundern. Hier wurden die Opfer auch nach ihrem Tod zu Tätern gemacht. Selbst „den Verdacht, es könnten Neonazis gewesen sein, hat die Polizei nie ernst genommen“, sagt beispielsweise Gamze Kubasik, Tochter eines Opfers heute.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet nun allerdings über noch viel tiefere Abgründe, die nun ans Tageslicht kommen. Die Bundesrepublik steht vor dem nächsten Skandal, mal wieder ausgelöst durch Strukturen des Verfassungsschutzes. Angeblich sollen Mitarbeiter dieser Vereinigung, deren V-Leute zur Finanzierung nationalsozialistischer Banden beigetragen haben, bei mindestens einer Tat vor Ort gewesen sein. Der Täter, der auf den Spitznamen „Kleiner Adolf“ hört, sitzt nicht in Haft, sondern wurde lediglich vom Dienst suspendiert.
Was jetzt bereits klar ist: Die Dienste haben durch den Einsatz von V-Leuten zur Finanzierung der Nazi-Banden beigetragen. Tino Brandt baute den „Thüringischen Heimatschutz“ auch mit Geldern des Verfassungsschutzes auf. Für seinen Einsatz als V-Mann, Deckname „Otto“, kassierte er mindestens 200.000 Euro, von denen Teile in den Aufbau der Nazi-Organisation flossen, in der auch die späteren Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ aktiv waren. Selbst der CSU-Hardliner Hans Peter Uhl will nicht mehr ausschließen, dass es „ein Verfassungsschutzproblem gibt“. Die Welt berichtet unterdessen:
In Sicherheitskreisen wird spekuliert, die drei aus Thüringen stammenden mutmaßlichen Täter könnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dann als Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein.
Die bundesdeutschen Geheimdienste wurden maßgeblich durch Alt-Nazis aufgebaut, die nach dem zweiten Weltkrieg eine zweite Karriere als bundesdeutsche Verfassungsschützer begannen. Vor allem in der Abteilung IV, der Spionageabwehr, tummelten sich die alten Nazis. 3 von 12 Gruppenleitern und Referenten und 7 der 51 Sachbearbeiter waren noch im Jahr 1963, nach Recherchen des Historikers Patrick Wagner, ehemalige Mitarbeiter von Gestapo und Sicherheitsdienst.
Im NS-Nachfolgestaat machten nicht nur die Globkes und Filbingers Karriere, sondern auch ehemalige Gestapo-Folterer, SS-Mörder und andere Nazischergen. Der Leiter der Gruppe Informationsbeschaffung, Oberregierungsrat Erich Wenger, war am 1. März 1933 freiwillig in die SS eingetreten. Er hatte zwei Jahre bei der Leibstandarte Adolf Hitler gedient. Bis 1944 schaffte er es im Reichssicherheitshauptamt zum SS-Hauptsturmführer und Kriminalrat.
Die Geschichte der bundesdeutschen Geheimdienste ist eben eine auch Geschichte der Verstrickungen; dabei wurden nicht nur Nazi-Organisationen finanziert, sondern auch das rechte Auge zugedrückt, wenn es um die Taten der neuen Nazis ging. Das hat sich bis heute nicht geändert. „Häufig ist viel Geld im Spiel“, berichtet sogar die Deutsche Welle, das „‚Wegsehen‘ gehörte zum Programm“.
Nazi-Banden haben mehr als zehn Menschen auf dem Gewissen. Die Geschichte des Nationalsozialismus nach 1945 ist auch eine Geschichte des rechten Terrorismus. In den 60er und 70er Jahren verübten diese Nazi-Banden zahlreiche Anschläge. Der bekannteste Fall ist sicherlich der Mordanschlag auf Rudi Dutschke vom 11.4.1968: Der Anstreicher Josef Bachmann schoss dem Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) mit einer Pistole in den Kopf. Nach seiner Festnahme fanden die Beamten auch einen Artikel der „Deutschen National-Zeitung“ des Gerhard Frey, der mit der Aufforderung „Stoppt Dutschke jetzt“ versehen war. Die Waffe hatte Bachmann beim frühere NPD-Mitglied Wolfgang Sachse erworben.
Der vorläufige Höhepunkt des Nazi-Terrors war Anfang der 80er Jahren erreicht. Der Nazi Gundolf Köhler, der in der Wehrsport-Gruppe Hoffman organisiert war, verübte einen Anschlag auf das Münchener Oktoberfest: 13 Menschen wurden getötet, 211 zum Teil schwer verletzt. Fast vergessen ist der antisemitische Mord vom 13.12.1980. Damals wurde der jüdische Verleger und ehemalige Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Shlomo Levin, und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke in Erlangen von Uwe Behrendt, ebenfalls ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, erschossen. Levin hatte zuvor mehrfach öffentlich vor der deutschen Neonaziszene und insbesondere vor dem „Chef“ der Wehrsportgruppe, Karl-Heinz Hoffmann, gewarnt. Einige Nazis flüchteten in den Libanon und gründeten, unter der Führung der palästinensischen Al-Fatah eine „Wehrsportgruppe Ausland“ im Palästinenserlager Bir Hassan bei Beirut.
Zur gleichen Zeit war auch eine „Deutsche Aktionsgruppe“ um Manfred Roeder aktiv, die für zahlreiche Sprengstoffanschläge verantwortlich war. Immer wieder entdeckten bundesdeutsche Behörden Waffen, Sprengstoff und Munition, wenn es dann einmal doch zu Hausdurchsuchungen kam. Auch in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Anschlägen, heute vermutet man einen Zusammenhang zum„Nationalsozialistischen Untergrund“.
Die Mitglieder dieser Nazi-Gruppe verschwanden bereits Ende der 90er Jahre vom Behördenradar, nachdem bei einer Hausdurchsuchung in einer Garage vier Rohrbomben und 1,4 Kilogramm TNT gefunden wurden. Nach Informationen des Tagesspiegels untersuchen die Behörden etwa einen Sprengstoffanschlag Ende 1998 in Berlin auf das Grab von Heinz Galinski, dem einstigen Präsidenten des Zentralrats der Juden. Am 27.6.2000 detonierte eine Bombe am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn in einer Gruppe jüdischer Aussiedler. Dieser Fall ist ebenfalls bis heute nicht geklärt. Im September 2003 wollte eine Nazi-Bande um Martin Wiese einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Kulturzentrums am 9. November 2003 am Münchner St.-Jakobs-Platz verüben. Unterdessen mordete der „Nationalsozialistsiche Untergrund“. Verschiedene Nazi-Banden ermorderten in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als 137 Menschen.
Rechter Terrorismus ist also keine neue Entwicklung, sondern ein immanenter Bestandteil der bundesdeutschen Geschichte. Umso überraschender erscheinen die Erklärungen vieler Politiker_innen und Journalist_innen, die nun – nachdem zehn Menschen ermordet wurden – ihre Betroffenheit entdecken.
Es ist eben wie immer, wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität oder Herkunft ermordet werden. Dann, aber nur dann, entdecken viele bundesdeutsche Politiker_innen ihre Betroffenheit, während sie vom rassistischen Normalzustand und vom alltäglichen Terror durch Nazi-Banden schweigen. Es scheint wieder die Zeit der Lichterketten zu sein, so wie 1991, als Nazis mehrere Brandanschläge verübten oder wie im Jahr 2000, als es zu einem kurzen „Aufstand der Anständigen“ kam, nachdem Martin Wiese und seine Kameraden die Grundsteinlegung zum Synagogen-Neubau mit Sprengstoff verhindern wollten.
Nun fürchten die, die ansonsten über die Nazi-Banden schweigen, um ihren Ruf: „Kanzlerin Angela Merkel spricht von einer „Schande“. „In Berlin sorgt sich die Bundesregierung um Deutschlands Ruf“, berichtet der Spiegel. Das ZDF bringt nun wie die anderen Fernsehsender Sondersendungen zum Thema: Dort ist von einer „neuen Gefahr von rechts“ die Rede. Innenminister Hans-Peter Friedrich sieht eine „neue Form des rechtsextremistischen Terrors“. Der Spiegel schreibt von einer „völlig neuen Qualität rechtsextremistischer Gewalt“.
Das Oktoberfest-Attentat und die zahlreichen anderen Morde scheinen vergessen zu sein. Ebenso schnell werden die Nazi-Morde und der dahinterstehende Skandal vergessen werden; bis es die die nächsten Opfer gibt, die durch Nazi-Banden ermordet werden. Bis dahin wird wieder Friedhofsruhe in Deutschland herrschen. Eine Friedhofsruhe, die den Henkern erst ihre mörderische Arbeit ermöglicht. Der Blick auf die deutschen Zustände offenbart eben noch immer einen Abgrund an Aufklärungsverrat und Barbarei.