Verschwörungswerbung auf SAT 1

Am Donnerstag, den 27.10.2001, wurde in der Sat 1 Sendung Kerner erneut das Thema Verschwörungstheorien aufgegriffen. Derartige Theorien hatte die Kerner-Redaktion bereits zum Jahrestag des 11. September für einen Beitrag benutzt, der im Nachhinein von der Verschwörungsszene gefeiert wurde.

Damals wurden die Theorien des Verschwörungsideologen Niels Holger Harrit, auf den sich auch NPD-Strukturen berufen, vollkommen unkritisch aufgegriffen. Dort kam auch Frank Höfer zu Wort, der mit seiner NuoViso-Filmproduktion den deutschen Markt mit verschwörungsideologischen Filmerzeugnissen versorgt. Höfer trat im Jahr 2009 auf einer Veranstaltung des Sektengurus Ivo Sasek auf, der mit seiner Anti-Zensur-Koalition eine Plattform für verschiedene esoterische, verschwörungstheoretische und antisemitische Propagandisten geschaffen hat.

Der Sat1 Beitrag zum 11. September wurde nach der Ausstrahlung von verschiedenen Aktivisten aus der selbsternannten „Wahrheitsbewegung“ gefeiert: Der Beitrag stellte „einen der besten dar, der in ganzen 10 Jahren (…) publiziert wurde“, hieß es auf einer Website der Verschwörungsszene. „Kerner“ bringt 9/11-Wahrheit“, auf einer anderen Seite.

In eine ähnliche Richtung ging der aktuelle Beitrag der Kerner-Redaktion. „Was ist dran an den verborgenen Botschaften“, nannte sich der Beitrag, in dem es unter anderem um sogenannte Chemtrails ging.

So bezeichnen einige Verschwörungsideologen ganz bestimmte Kondensstreifen von Flugzeugen, die angeblich bestimmte Substanzen enthalten sollen, mit denen die Bevölkerung vergiftet oder kontrolliert wird. Ein Guru dieser Chemtrail-Szene ist der ehemalige Greenpeace-Aktivist Werner Altnickel, der in seiner niedersächsischen Heimatstadt Oldenburg Solaranlagen vertreibt. Er kam in dem Sat 1 Beitrag ausführlich zu Wort und durfte dort seine wirren Theorien über Chemtrails verbreiten.

„Nicht alles zwischen Himmel und Erde ist wie es scheint. Manchmal ist das Unwahrscheinliche dann doch die Wahrheit“, orakelte die Kerner Redaktion in der Werbung zum Beitrag. In der Einleitung des Beitrages hieß es, dass es „merkwürdige Dinge“ gäbe, „die im niedersächsischen Oldenburg passieren“. In den folgenden fünf Minuten durfte Werner Altnickel Werbung für seine Positionen betreiben und vor einem „Totalschaden für Mensch und Planeten“ warnen. Dabei griff die Kerner-Redaktion auf Videos und Fotos zurück, die Altnickel gedreht hat, um seine Theorien zu beweisen.

Was allerdings nicht zur Sprache kam, waren die politischen Positionen Altnickels, die von seinen verschwörungsideologischen Positionen nicht zu trennen sind. Altnickel glaubt konkret, dass es einen geheimen Krieg gegen Deutschland und andere Staaten gibt, der durch die USA und Israel, mit Erdbeben- und Strahlenwaffen, geführt werden würde. Er beruft sich auf ein angebliches Zitat von Donald Rumsfeld, das selbstverständlich gefälscht ist.

Um seine merkwürdigen Theorien zu beweisen greift Altnickel ein ums andere Mal auf gefälschte Zitate zurück. So erwähnt er in seinen stundenlangen Vorträgen beispielsweise das angebliche Zitat des New York Times Herausgebers John Swinton. „Eine freie Pres­se gibt es nicht. Sie, liebe Freun­de wis­sen das, und ich weiß es gleich­falls“, be­ginnt es. John Swin­ton, der von Alt­ni­ckel als Kronzeuge benannt wird, soll ein ehemaliger Her­aus­ge­ber der New York Times sein, „der die­sen klei­nen Vor­trag wäh­rend sei­nes Ab­schieds­ban­ketts ge­hal­ten haben soll. Ein Blick in die Ar­chi­ve der NYT zeigt: Es hat nie­mals einen Her­aus­ge­ber na­mens Swin­ton ge­ge­ben“.

Altnickel stellt außerdem die Behauptung auf, dass der Super-Gau in Tschernobyl durch die USA verursacht worden wäre. Diese hätten ein Projekt namens Haarp benutzt, das von Verschwörungsideologen umgedeutet wird. Des Weiteren halluziniert der in der Chemtrail- und Verschwörungsszene hochgeachtete Altnickel von angeblichen israelischen Strahlenwaffen, mit denen die deutsche Bevölkerung bedroht werden würde.

Der Chemtrail-Guru beschäftigt sich allerdings auch noch mit anderen Themen, die in seinen Vorträgen zur Sprache kommen. Regelmäßig verweist Altnickel beispielsweise darauf, dass der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine „Beraterfunktion bei der Rothschild-Bank“ ausüben würde, was für Altnickel ein Hinweis auf die angebliche Verschwörung ist. Hier machte sich Altnickel also antisemitische Verschwörungstheorien zu eigen, die den Rothschilds eine unglaubliche Macht nachsagen.

Diese Fakten spielten im Sat 1 Beitrag keine Rolle. Hier wurde der Chemtrail-Guru als netter, besorgter und alter Mann inszeniert, der doch nur „vor einem Totalschaden für Mensch und Natur“ warnen würde. Seine genaueren Positionen wurden verschwiegen, dabei hätte man hervorragend aufzeigen können, wie die Szene der Chemtrail-Gläubigen arbeitet. Außerdem zeigte der Sat1 Beitrag, nachdem Altnickel fünf Minuten Werbung beitreiben durfte, auch noch andere Verschwörungsideologen, die an „Atlantis“ oder an die „Hohlerde-Theorie“ glauben. So war beispielsweise Dieter Bremer zu sehen, dessen wirre Ideen bereits als Werbung für die hervorragende Doku-Satire „Die Mondverschwörung“dienten.

Altnickel wirkte aufgrund dieser Auflistung wie ein aufrechter Vertreter einer diskussionswürdigen Verschwörungstheorie. Vielleicht wurde der Beitrag auch daher, wenige Minuten nach der Ausstrahlung ins Internet gestellt. So findet er sich auf verschiedenen Internet-Seiten der Chemtrail-Szene. Dort wird der Beitrag freudig begrüßt. So heißt es auf einer Szene-Seite:

Wir können daher froh sein, sofern überhaupt das Thema ‚Chemtrails‘ von den Medien aufgegriffen wird. Die Kerner-Sendung hat dazu geführt, dass Millionen von Menschen den Begriff ‚Chemtrails‘ vermutlich das erste Mal gehört haben. Die Sendung wird auch dazu führen, dass viele Menschen damit beginnen werden, in den Himmel zu gucken und sich Gedanken zu machen, was dort geschieht. So viele Menschen können wir mit unserer Webseite oder den Flyern niemals erreichen.

Die Chemtrail-Szene begrüßt also die unkritische Berichterstattung. Mit den ersten fünf Minuten des Beitrags haben sie Werbematerial für ihre merkwürdigen Ideen zur Hand. Die Kerner-Redaktion hat sich also ein zweites Mal als Werbelieferant für obskure Verschwörungsidelogie betätigt. Dafür wird ihnen nicht nur Werner Altnickel dankbar sein.

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