Die Anthroposophie ist die esoterische Grundlage, die an Waldorfschulen und anderen pädagogischen Institutionen bis heute praktiziert wird. Sie ist eine Lehre, der nicht unbegründet Antihumanismus, Irrationalität, Rassismus und Antisemitismus vorgeworfen wird. Ein wichtiger Pfeiler dieser Theorie, die auf Rudolf Steiner zurückgeht, ist der Kampf gegen die Errungenschaften der Moderne, gegen alles was als „materialistisch“ eingeordnet wird. Diesem „Materialismus“ wird eine Welt gegenübergestellt, in der unter anderem Zwerge und andere Wesenheiten existieren.
Da ist es kein Wunder, dass die Anthroposophinnen und Anthroposophen gegen alles argumentieren, was dieser esoterischen Verklärung der Welt entgegenstehen kann. Ein Beispiel ist der Waldorf-Klassiker „Lieber spielen als fernsehen“ der Anthroposophin Karin Neuschütz, das in vielen anthroposophischen Bibliotheken zu finden sein wird.
In diesem Buch polemisiert die Autorin gegen das Fernsehen, Computerspiele und andere technische Errungenschaften, an denen sie kein gutes Haar lässt. Das erste Mal erschien das Buch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, es wurde bis in die 90er Jahre immer wieder neu aufgelegt. Heute findet es sich bei Amazon oder auf den zahlreichen Waldorf-Büchermärkten, die anlässlich des sogenannten „Martinsmarkts“ an Waldorfschulen angeboten werden. Dort durfte ich ein Exemplar dieses Buches ergattern, das dafür gesorgt haben dürfte, dass zahlreiche Fernseher aus den Elternhäusern der angehenden Waldorfkinder verbannt wurden.
In ihrem Machwerk begeistert sich Neuschütz an der Phantasie, dass „das Bild auf allen Fernsehschirmen erlöschen“ würde. Sie sieht in diesem „märchenhaften Ereignis“ natürlich einen Vorteil, weil die Menschen nicht mehr vor dem Fernseher „hängen“, sondern „den Blick einander zuwenden“ würden.
Neuschütz behauptet, das Fernsehen ein „Gift“ sei. „Die bewegenden Fernsehbilder sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr“, schreibt Neuschütz, „weil sie sich in unsere Phantasie einnisten“. Sie beklagt, dass das Kind „fremden Leuten überlassen“ werden würde, nämlich „den Fernseh-Onkels und Tanten“.
Die Folge seien „Gehirnschäden“ und der „Gestaltzerfall“. Kinder, die „schlechte Augen haben“, seien besonders gefährdet: „Bei diesen Kindern kann im Gegensatz zu den gesunden, schon einmaliges Fernsehen, können schon einzelne Programme Schaden anrichten“, schreibt die Waldorf-Autorin. Die Menschen würden sich „zu Sklaven des Fernsehens“ machen, diese „seelenlose Apparate“, in denen „Fernsehhelden“ zu sehen sind, die „etwas tun“:
Sie kämpfen, kippen Autos um, zünden Häuser an, hängen Leute an die Laternenpfähle – alles für einen heiligen Zweck.
Das Kind würde nun „sofort nachmachen“, was es im Fernsehen gesehen habe. Neuschütz führt Gewalt auf den Fernsehkonsum zurück.
Außerdem warnt Karin Neuschütz vor „Vereinfachung und Gleichschaltung“ (!) „der Kinderliteratur“:
„Multinationale Bücherfabriken speien am laufenden Band fade, einfältige Figuren aus, die (…) jeden nationalen Hintergrund entbehren.
Das behauptet Neuschütz und bedient sich an dieser Stelle eines nationalistischen Jargons.
„Die Kinder werden ins Niemandsland der Comicfiguren und Plastikmonster geschickt“.
So klagt eine Waldorf-Autorin. Hier bestehe „das Risiko, auf dem Niveau der Comics steckenzubleiben“. Sprachschäden seien die Folge des Comic-Konsums. Durch Comics und Fernsehen würde die Gefahr bestehen, dass „verhältnismäßig kleine Kinder sich schon destruktiven Spielen widmen“ und dass „Teenager von Zerstörungswut befallen werden und schwere Verbrechen begehen“.
Natürlich hat Karin Neuschütz eine Lösung für die Probleme – „Zerstörungswut“ und „schwere Verbrechen“ – die angeblich durch Comics und Fernsehen entstehen würden. Sie verbannt den Fernseher aus der elterlichen Wohnung. Neuschütz ruft dazu auf, eine Art Nachbarschaftshilfe zu organisieren, die „gefährdeten Eltern aus der Abhängigkeit“ hilft.
Schließlich müsse man sich entscheiden:
Für die Kinder und gegen das Fernsehen.
Der Rest des Machwerks, das dafür gesorgt haben wird, das tausende Waldorfschüler der Genuss von Fernsehsendungen, Comics und Computerspielen verwehrt wurde, bietet praktische Ratschläge, angebliche Alternativen, die das Kind viel mehr befriedigen würden.
Für die Kinder sei es „das Beste, etwas Sinnvolles und Konkretes nachzuahmen wie z.B. die Zubereitung von Essen, die Herstellung von Gebrauchsgegenständen, das Jäten von Unkraut im Garten, das Nähen von Kleidern“, behauptet die Waldorf-Autorin. Außerdem empfiehlt sie Märchen, deren blutrünstige Inhalte verschwiegen werden, sowie „Zungenbrecher wie z.B. ‚Brautkleid – Blaukraut‘“ und die üblichen Gesänge von „Königen“, „Prinzessinnen“ und anderen herrschaftlichen Gestalten.
Die Welt, die entstehen kann, wenn man die Ratschläge der Neuschütz ernst nimmt, ist eine Welt der Anti-Moderne: Mit Märchen und anderen esoterischen Geschichten, mit körperlicher Feldarbeit und ohne jeden Fernseher, ohne Comics und ohne Computer. Bis heute findet sich das Buch in vielen anthroposophischen Bibliotheken oder auf den Flohmärkten an Waldorfschulen. Hier lebt die Anti-Moderne, hier tötet man den Fernseher.
Bis heute wird das Machwerk der Karin Neuschütz von Anthroposophinnen und Anthroposophen bemüht, wenn es darum geht, den Fernseher an und für sich zu verdammen. So wird beispielsweise in einer aktuellen Information (PDF) der Waldorfschule Neumünster gegen eine „Scheinwirklichkeit der Medien“ und der „Zerstreuungsmaschinerie der Medien“ polemisiert.
Der Fernseher ist eine Maschine (…). Alle diese Maschinen sind leblos, kalt und herzlos.
So werden die angehenden Waldorfeltern gewarnt. „Vor der Mattscheibe aber müssen die Phantasiekräfte verkümmern und erlahmen“, lautet der esoterische Hinweis der Waldorfschule, die ebenfalls davon ausgeht, das durch den Fernsehkonsum die „steigernde Jugendgewalt“ erklärt werden könne. Die „oberflächliche Weltwahrnehmung“ würde in letzter Konsequenz „vom maßlosen Süßigkeitenkonsum bis zum Einstieg in die Drogen Alkohol, Nikotin und Haschisch“ reichen.
Medien im Allgemeinen führen „in eine Passivität“, warnt die Waldorfschule. Die Folge seien „motorische Defizite und Haltungsschäden“ sowie „Gewalt als Problemlöser für soziale Konflikte“. Es ist nicht überraschend, dass in den Literaturangaben das Machwerk der Karin Neuschütz als Quelle angeben wird, die mit ihrem Buch eine weitere Grundlage für die Ablehnung moderner Medien und Unterhaltung geschaffen hat, die bis heute an Waldorschulen verbreitet ist.