Zwerg im Kopf (II)

Die angebliche Existenz von „Zwergen“ und andere Fantasiegestalten ist ein Inhalt zahlreicher Artikel und Bücher der organisierten Anthroposophie, die über Waldorfschulen und Biohöfe gesellschaftlichen Einfluss erlangt. So schreibt der anthroposophische Autor Tho­mas Meyer in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Erziehungskunst“ über seine angeblichen Erfahrungen mit „Zwergen“ und anderen Fabelwesen:

In einer Ecke des Ess­zim­mers saß ein Zwerg. Die­ser war sehr fest ge­formt, etwa einen hal­ben Meter hoch, dar­über wurde es sehr licht, weit und weise. Schnell be­griff ich, die­ser Zwerg ist viel schlau­er als ich, er be­sitzt Wel­ten­weis­heit.

Solche Berichte sind keine Ausnahme. In einer etwas älteren Ausgabe der anthroposophischen Zeitschrift „Das Goetheanum“ (13/07) berichtet die anthroposophische Autorin Tallis Halliwell beispielsweise in einem Interview über ihre angeblichen Erfahrungen mit „Zwergen“ und „Gnomen“. Sie beruft sich auf den Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, dem sie geheimnisvolle Treffen mit „Elementarwesen“ andichtet.

Als Mensch war nur Rudolf Steiner da; und mit ihm die Elementarwesen von vielen Kulturen und Traditionen aus aller Welt. Naturgeister von allen Völkern, von den Indianern, Eskimos.

Der Guru der Waldorfschulen, Rudolf Steiner, propagierte die Existenz von sogenannten „Elementarwesen“, zu denen er „Gnome“ und „Zwerge“ zählte:

Gnomen heißen diese Wesenheiten, und zahlreiche Arten von ihnen beherbergt die Erde, und sie sind da zu Hause, wo sich der Stein mit dem Metall berührt. Recht sehr gedient haben sie früher den Menschen beim alten Bergbau, nicht beim Kohlenbergwerk, aber im Metallbergbau.

So fabuliert der Gründer der ersten Waldorfschule in einem seiner Vorträge. In Steiners Fußstapfen tritt Halliwell, indem sie Bücher verfasst, in denen sie ihre Erfahrungen mit kleinwüchsigen Wesen, die nichtmenschlicher Herkunft sind, niedergeschrieben hat. Die Zeitschrift „Das Goetheanum“ beklagt sich im Interview mit der „Naturgeister“-Expertin, dass „die Zeiten“ vorbei seien, „in denen viele Menschen noch eine reale Beziehung zu Zwergen, Gnomen und anderen elementarischen Wesen hatten, wie sie uns heute noch in Märchen und Geschichten begegnen“.

Derartige Artikel können einen Einstieg in eine Welt bedeuten, deren wahnhafter Charakter offensichtlich ist. Da existieren „Zwerge“, „Gnome“ und andere Gestalten, die vom Menschen gesehen werden können, wenn diese sich nur darauf einlassen, den „anthroposophischen meditativen Schulungsweg“ zu gehen. Zu diesem Zweck hat der bereits erwähnte Autor Thomas Meyer mehrere Bücher verfasst, die in einschlägigen esoterischen Kleinst-Verlagen erschienen sind.

Wir leben alle im Reich der Elementarwesen. Immer und überall durchdringen sie unsere Seele (…) Das flüssig geschriebene, authentische Buch berichtet von konkreten Begegnungen mit Zwergen, Riesen, Nixen, Feen, Elementarwesenkönigen, Körperelementarwesen, persönlichen Helferwesen und Karmawesen.

So bewirbt der Autor sein Machwerk. Bei organisierten Anthroposoph_innen, die oftmals auch als Pädagog_innen an Waldorfschulen und anderen pädagogischen Einrichtungen tätig sind, existert der Zwerg tatsächlich im Kopf: Vermittelt durch die esoterische Waldorf-Ideologie, deren Inhalte in anthroposophischen Zeitschriften und Büchern propagiert werden.

Waldorfschüler_innen werden ebenfalls mit „Zwergen“ und anderen Wesen konfrontiert. Davon zeugen bereits die zahlreichen Mythen, Märchen und Sagen, die den Schüler_innen an Waldorfschulen und den Kindern an Waldorfkindergärten vermittelt werden: In einer Reihe für Waldorfpädagog_innen, das als „Arbeitsmaterial aus den Waldorfkindergärten“ beworben wird, heißt es beispielsweise:

Aus Märchen und altem Wissen sind uns die Namen elementarer Naturwesen überliefert (…). Die Menschen lebten mit ihnen, überall waren kleine Wesen dabei (…). Noch eine Menschengruppe geht bis auf den heutigen Tag mit den Naturgeistern, den Spukgestalten, Kobolden und Damonen, Trollen und Gespenstern um. Das sind die Sensiblen.

Das Buch wirbt damit, „die Liebe der Kinder zu Zwergen und Elfen“ zu behüten. Als pädagogische Praxisbeispiele dienen einige handgefertigte Zwerge, die die Kinder anfertigen müssen, sowie einige Märchen und Sagen, die den Kindern erzählt werden sollen. Das pädagogische Buch aus dem Waldorfverlag „Freies Geistesleben“ bietet ansonsten einige Strickmuster für „Wurzel“–, „Kletter-“,„Wald“– „Haus“–, „Blaubär-“ und „Möhrenzwerge“, zu deren Anfertigung die Schülerinnen und Schüler genötigt werden.

Arbeitsmaterial aus den Waldorfkindergärten

In den Arbeitsmaterialien und den Waldorf-Zeitschriften finden sich Beispiele für einen pädagogischen Umgang, der die Existenz von „Zwergen“ und anderen Fantasiegestalten vermitteln soll. Hier werden die ideologischen Grundlagen, immer mit dem Verweis auf den Waldorf-Guru Rudolf Steiner, vermittelt. Die Fabelwesen aus der Waldorfwelt finden sich nicht nur in den anthroposophischen Propaganda-Erzeugnissen, sondern auch im täglichen Unterricht an den Waldorfschulen. Die Waldorfpädagogik und die Anthroposophie, die als Grundlage dient, ist nichts anderes als die wahnhafte, esoterische Verklärung der Realität, was die „Zwerge“ und „Gnome“ veranschaulichen.

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