Seitdem vergangenen Wochenende campen einige Menschen auf dem Alexanderplatz in Berlin. Sie wollen sich an einer Kopie der Proteste in Spanien versuchen. Während sich dort mehr als 150000 Menschen an den Protesten beteiligten, blieb es in Berlin deutlich ruhiger.
Zwar beteiligten sich mehrere hundert Menschen am Freitag, den 19.08.2011, an einer Party mit Straßenkunst und „Kiss-In“; doch als im Anschluss ein kleiner Teil des Platz besetzt wurde, hielt sich die Zahl der Camper_innen in überschaubaren Grenzen. Zwischen 30 und 50 Menschen beteiligten sich hier am „Acampada Berlin“. In einer Facebook-Gruppe fanden sich allerdings mehr als 1000 Menschen zusammen, die nun als spammende Masse auftreten, um Medien und Menschenrechtsorganisationen, sowie Polizei und Politiker_innen anzuschreiben.
Man wolle sich mit den „größten Sternen dieser Bewegung“ verbinden und auf dem Alexanderplatz campen, um „das wahre Gefühl der Revolution“ in der Praxis zu erleben. Dabei hofften die Teilnehmer_innnen, die sich der idealistischen „Echte Demokratie Jetzt“-Bewegung zugehörig fühlen, auf eine breite Unterstützung durch die Berliner_innen. Die Forderungen blieben allerdings äußerst diffus.
Man wolle „echte Demokratie“, hieß es in einem Aufruf. Als Hashtag bei Twitter wählten einige Teilnehmer_innen dennoch das Kürzel „#Germanrevolution“. Ansonsten inszenierten sich die Camper_innen „friedlich, fröhlich, revolutionär, life und in Farbe!“ .
Außerdem forderten die Camper_innen immer wieder „Zelte, Farben, Planen und Sach oder Geld Spenden“. Dabei übersahen sie allerdings die Tücken des deutschen Versammlungsrechts. Die Zelte sollten bereits am Sonntag, den 21.08.2011, wieder abgebaut werden. Es blieb bei einer zeltlosen Dauerkundgebung, die für eine ganze Woche angemeldet wurde. Schnell war von „Räumung“ die Rede.
Polizeibeamte durften in den folgenden Tagen Zelte abbauen, während die kleine Schar an Demonstrant_innen Wind und Wetter trotzte. Andere Teilnehmer ergingen sich derweil in merkwürdigen Phantasien: Mit der Übernahme des Herzen Europas, der Stadt Berlin, könne man die ganze Welt kontrollieren, träumte ein Teilnehmer in seiner deutschnationalen Großmachtsphantasie sinngemäß.
Unter den Demonstrant_innen befinden sich bis zum heutigen Tag verschiedene Verschwörungsfans. Georg Berres, der auf den Spitznamen „Bauchi“ hört, hielt beispielsweise eine ausführliche Rede. Berres ist Betreiber mehrerer Internetprojekte und ein Verantwortlicher des selbsternannten Staates „Terrania“, für den er als „Botschafter“ fungiert. Das Projekt erinnert an ähnliche Projekte aus der rechten Szene.
Wie die „Kommisarischen Reichsregierungen“ (KRR) bezeichnet Georg Berres die Bundesrepublik als„GmbH“. Wie die „Reichsregierungen“ verspricht Berres seinen Anhängern eigene Identitätsdokumente, eigene Autokennzeichen sowie Steuerersparnisse und eine weltweite „diplomatische Immunität“.
In seiner Rede auf dem Alexanderplatz warb Berres für „Freie Energie“, eine in verschwörungstheoretischen und esoterischen Kreisen beliebte Behauptung über eine angebliche Energieform, mit der man auf fossile und regenerative Energien verzichtet könne. Außerdem warnte Berres vor einer „Neuen Weltordnung“ und propagierte damit eine Verschwörungstheorie, die von der Existenz einer mysteriösen Organisationen ausgeht, die nach der Beherrschung der gesamten Welt streben.
Im anschließenden Gespräch warb Berres für die Zusammenarbeit mit Nazis:
Da kriege ich die Krise, wenn irgendwelche Linken nicht mit mir zusammenarbeiten wollen, weil ich mit Rechten zusammenarbeite. Das sind Menschen für mich.
Berres ist nicht der einzige Verschwörungstheoretiker der das Camp auf dem Alexanderplatz unterstützt. Die Organisator_innen des verschwörungstheoretischen „Die Kritische Masse Festivals“ sprechen sich ebenfalls für das Camp auf dem Alexanderplatz aus. Auf dem Festival, das in diesem Jahr in die zweite Runde ging, treten zahlreiche Musiker auf, die für den Soundtrack der „Truther“ verantwortlich sind.
Auf der Facebook-Seite des Camps finden sich andere Verschwörungstheorien. So ist dort beispielsweise ein revisionistisches Flugblatt zum Libyen-Krieg zu finden, mit dem die haltlose Behauptung aufgestellt wird, dass eine „Nachbildung von Tripolis in Katar entdeckt“ worden sei. Die Erstürmung der libyschen Hauptstadt sei in einem Filmstudio entstanden. Gaddafi solle „vernichtet“ werden. Wer das nicht glauben wolle, solle sich in Erinnerung rufen, was „in Dresden und dem vietnamesischen Dorf My Lai geschehen ist“, heißt es in dem Flugblatt.
Das Camp auf dem Alexanderplatz wird von zahlreichen Internetseiten der verschwörungstheoretischen Szene beworben. Hier ist von einer „friedlichen deutschen Protestbewegung“ die Rede, die von „den Herrschenden“ bedroht wird. Ob die „Infokrieger“ aus Greifswald, das „Infonetzwerk“ aus Berlin oder der „Knastplanet“ aus Hamburg: Die Verschwörungs-Szene solidarisiert sich mit dem Camp auf dem Alexanderplatz.
Solidarität gab es auch von anderen Organisationen, denen man zugute halten muss, dass ihnen der Charakter dieser Versammlung vielleicht nicht bewusst gewesen ist. Der Pressesprecher der „Freien Wähler Lörrach“ verglich das Camp auf dem Alexanderplatz mit den Protesten gegen Stuttgart 21: „Auf dem Alexanderplatz findet der letzte verzweifelte Versuch statt, Einfluss auf die Politik zu nehmen“, hieß es in einem Offenen Brief an die Polizeigewerkschaft, den der Pressesprecher allerdings als Privatperson verfasst haben will. Die Globalisierungskritiker von Attac forderten die Polizei auf, das Camp am Alexanderplatz zuzulassen. In der TAZ und im Tagesspiegel fanden sich wohlwollende Berichte über das Camp. „Berlin ist Madrid“, hieß es hier.
Am Freitag, den 26.08.2011, versuchten die Teilnehmer_innen dem Camp neuen Schwung zu verleihen, nachdem zuletzt nur noch ein verlorenes Häufchen von 20 Menschen auf dem Alexanderplatz ausharrte. Sie riefen zu einem „Marsch der Zelte“ auf. Vom Brandenburger Tor wolle man mit aufgebauten Zelten zum Alexanderplatz marschieren und dort das Camp fortsetzen.
Etwa 50 Menschen kamen zur Demonstration. Diejenigen, die am Alexanderplatz in ihre Zelte schlüpften, wurden von einer Polizeieinheit in Gewahrsam genommen. Die Veranstalter_innen sprechen von sieben Ingewahrsamnahmen durch die Polizei. Diese hat nun„ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet“, weil in einem Youtube-Video zu sehen ist, wie ein Beamter einen Demonstranten schlägt.
Im Internet lecken die Teilnehmer_innen und die Unterstützer_innen ihre Wunden. Hier wird der Polizeieinsatz mit den Zuständen in der DDR verglichen. Hier ist von „maßloser Brutalität“ und „massiven Polizeieinsätzen“ die Rede. Es sei die Polizei gewesen, die „das Messer ins Herz der Demokratie“ gestoßen hätte, heißt es auf der Facebook-Seite der Camper_innen.
„Solange die Amis das verbieten, wird hier überhaupt nichts passieren“, klagt ein Teilnehmer. Ein weiterer Teilnehmer erläutert, dass sich die Polizei „auch nicht an Gesetze“ halten würden: Diese würde nämlich nicht mehr geben, „denn seit den 2 Bereinigungsgesetzen, ist diese GmbH eigentlich nur noch Verwalter und die Bullen, sind ihre Wachmanschaft“.
Es ist ein verschwörungstheoretischer und antiamerikanischer Jargon, der von diesen Teilnehmer_innen des Camps gepflegt wird und mit dem sie den Polizeieinsatz erklären wollen. Dieser Jargon lässt sich auch auf der Diskussionseite von „Echte Demokratie Jetzt“ entdecken. Dort findet sich beispielsweise Werbung für den verschwörungsideologischen Kopp-Verlag, die von den Adminstratoren nicht entfernt wird.
Auf der offiziellen Internetseite findet sich mittlerweile eine Erklärung der Veranstalter_innen. Dort wird die mehr als optimistische Behauptung aufgestellt, dass das „jetzige Gesellschaftssystem“ am Ende wäre. Verschwörungstheoretisch heißt es weiter, dass „von einigen Positionen offensichtlich die Befehle gegeben“ werden, die „in diesem Zusammenhang stehende Menschenansammlungen – gleich wie friedlich – im Keim zu ersticken.“
Trotz dieser Befürchtung wollen einige Camper_innen in jedem Fall weiter machen. So wird das Häufchen der Demonstrant_innen eventuell noch ein paar Wochen auf dem Alexanderplatz zu sehen sein, bis die „deutsche Revolution“ so sang- und klanglos enden wird, wie sie begonnen hat