Führerfigur

Die „Freien Waldorfschulen“ gelten als freie Schulen, an denen Schüler_innen ohne Notendruck lernen dürfen. Dabei hatte bereits deren Begründer Rudolf Steiner, den Unterricht als „religiöse Tat“, als eine „Art Gottesdienst“ verstanden, bei der der Lehrer als Führerfigur agiert. Mehr als siebzig Jahre nach dessen Tod, ist Steiners Lehre noch quicklebendig. Ein Blick in eine der zahlreichen Waldorfpublikationen dürfte ausreichen, um diesen Umstand zu erkennen.

Eine Waldorfzeitung ist die „Erziehungskunst“, die an vielen Waldorfschulen verteilt wird, um den Eltern eine theoretische Unterfütterungen der pädagogischen Praxis zu ermöglichen. Hier scheint alles im besten Licht. In der „Erziehungskunst“ wird die Waldorfpädagogik beworben. Das beweist auch ein Artikel aus diesem Jahrtausend, mit dem die autoritäre Figur des Waldorf-Lehrers beschrieben wird. Zwar wird dieser zunächst nicht als Führer bezeichnet, dafür werden aber andere Worte gefunden, die in eine ähnliche Richtung gehen. Das macht bereits die Artikelüberschrift deutlich: „Der Lehrer als Bergführer und Kapitän“, lautet die Überschrift des Artikels von Oscar Scholz, der bereits im Januar diesen Jahres erschienen ist. Auch durch diesen Artikel wird deutlich, dass Lehrer_innen an Waldorfschulen eine Art Führerfigur darstellen, deren Entscheidungen nicht hinterfragt werden sollen.

Diese autoritäre Form der Pädagogik wird mit den Wünschen der Kinder begründet:

Die Kinder möchten, auch wenn das oft auf den ersten Blick nicht so scheint, gesagt bekommen, wo es lang geht. Sie wollen geführt werden.

Auf diese Art und Weise wird den Kindern jedwede Entscheidungsfreiheit genommen. Sie sollen auch im Jahr 2010 gehorchen. Hier werden Kinder geformt. Denn bereits „zu Beginn der Schulzeit“ gehe es darum, die Kinder „zu einer Klasse zu formen“. Dabei sollen „Gewohnheiten“ ausgebildet werden, an die sich die Kinder gewöhnen sollen, ohne den Sinn in Frage zu stellen. Hier gehe es auch darum, die Kinder zu „führen“ und von den angeblichen Gefahren der modernen Technik fernzuhalten:

In diesen Zusammenhang gehört die Diskussion über die schädliche Wirkung von Computerspielen. Viele dieser Spiele gewöhnen einem das Einfühlungsvermögen systematisch ab.

Stattdessen empfiehlt die Zeitschrift die üblichen Erziehungsmethoden an Waldorfschulen. Da wird das „Formenzeichnen“ hervorgehoben und die „Pflege des Lied- und Sprachguts“ empfohlen. Statt moderner Technik sollen blutrünstige „Märchen, Fabeln und Legenden“ erzählt werden, in denen Gegenstände, wie Steine, Tiere oder Geister, miteinander kommunizieren. Hier sei „die innere Führungskraft des Lehrers gefragt“, heißt es in der „Erziehungskunst“. Der würde als ein „guter Führer“ agieren, der „den Weg und das Ziel“ kennt.

Erst gegen Ende der Schulzeit, in der Oberstufe, würden die Schüler_innen zur Einsicht gelangen, dass sie nicht für den Lehrer, sondern für sich selber lernen würden. Bis dahin sind sie einem autoritären System, ganz ohne die Errungenschaften der modernen Technik, ausgeliefert, das sie mit Märchen und Sagen malträtiert und ihnen ein eigenständiges Lernen verwehrt. Wer also seine Kinder einem „Führer“ anvertrauen möchte, dem sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, dem seien die Waldorfschulen ans Herz gelegt: Sie halten das ein, was in der „Erziehungskunst“ versprochen wird.

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