Als er in München zur Waffe griff, um Menschen zu ermorden, war David S. erst 18 Jahre alt. Nach der Attacke war das Verlangen nach einer Erklärung groß. Es entstand das mediale Psychogramm eines Täters, der sich an „Killerspielen“ wie “Counter-Strike” begeisterte. Ein junger Mann eben, psychisch instabil und gemobbt, der als Außenseiter galt. Innenminister De Maizière reanimierte unterdessen eine alte Debatte, indem er ein „Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet” entdeckte, die Jugendliche in ihrer Entwicklung bedrohen.
Währenddessen suchten andere Akteure die Täter, die in Wirklichkeit für die Morde verantwortlich sein sollen. Im Netz wurde bereits in der Nacht nach den Attacken, als noch weniger Informationen bekannt waren, nach Schuldigen gefahndet. So mutierte eine ganze Anzahl an Ungläubigen, die weder Medien noch Bildern trauen, zu Aufklärern, die sich mit den Morden befassten. Bereits kurz nach den Attacken kursierten die ersten Mythen, durch die die Taten erklärt wurden.
Einen Tag nach den Ereignissen veröffentlichte die Facebook-Seite „Neues Bewusstsein” eine erstaunliche Deutung, die munter geteilt wurde. Nicht nur dort wurde ein Video, das David S. bei seinen Taten zeigte, zur Beweisführung herangezogen. Der Täter sei in die Szene “hineingebeamt” worden, hieß es. Ob er aus der Zukunft kam, wurde leider nicht beantwortet. Die Theorien vom Beamen wurden auch in anderen Facebook-Gruppen debattiert, in der sich Verschwörungsgläubige sammeln.
Konstruktion eines Mythos
In einem ebenfalls häufig besprochenen Video, das schon einen Tag nach den Ereignissen veröffentlicht wurde, wollte der Produzent okkulte Symbole an Einsatzfahrzeugen entdeckt haben. Solche Interpretation einer Polizeikennzeichnung spielte allerdings eine untergeordnete Rolle. Weitaus wirkungsvoller waren Behauptungen, durch die israelische Staatsbürger für die Morde verantwortlich gemacht wurden. In den unfreiwilligen Hauptrolle des schaurigen Stücks, das in diesen Tagen entstand: Eine ehemalige Abgeordnete aus Israel, die zur Agentin gemacht, und ein Journalist aus Deutschland, dem Vorwissen unterstellt wurde.
Die in den sozialen Netzwerken geäußerten Vorstellungen wurden auch auf andere Weise verbreitet. Verschwörungsideologische Autoren, Journalisten und Heimvideoproduzenten besprachen die eindeutigen Mythen, die in sozialen Netzwerken kursierten. In München hatte gerade ein neuer Morgen begonnen, als Oliver Janich – verschwörungsideologischer Aktivist und Autor – die Webcam aktivierte, um angeblichen “Ungereimtheiten” aufzudecken, die er im Internet entdeckt hatte. Zu Beginn seines Monologes befasste sich der ehemalige „Focus Money“-Redakteur mit dem jetzigen „ARD“-Journalisten Richard Gutjahr, der nicht nur aus München, sondern auch aus Nizza berichtet hatte, als ein Islamist mit einem LKW durch Menschen raste.
Die Doppelberichterstattung von den Orten der Attacken wäre wahrscheinlich nicht relevant, wenn Gutjahr nicht mit der ehemaligen Knesset-Abgeordneten Einat Wilf verheiratet wäre, die während ihres Militärdienst als Nachrichtenoffizierin innerhalb der Israelischen Selbstverteidigungsstreitkräfte arbeitete. Mit dem Begriff Mossad, eigentlich der Auslandsgeheimdienst des israelischen Staates, bediente Janich seine Zielgruppe. Dabei munkelte er von Aktionen israelischer Agenten, die angeblich Terrortaten verüben, um Palästinenser verantwortlich zu machen.
Verbreitung der Konstruktion
Die Geschichte vom israelischen Auslandsgeheimdienst, der die Morde in München verübt haben soll, beschäftigte nicht nur Oliver Janich. Wenig später erzählte die Internetseite “Die Rote Fahne” die gleiche Geschichte, wollte aber eine direkte “Mossad-Spur” entdeckt haben. Dort wurde die Abgeordnete zur “Mossad-Agentin” gemacht, während dem Journalisten ein Vorwissen unterstellt wurde. Ähnliche Behauptungen fanden sich wenig später in einem Interview, das der Buchautor Wolfgang Eggert der Onlineausgabe des deutschnationalen “Compact”-Magazins gab.
Der Autor, der in seinen Büchern zionistische Sekten und den israelischen Geheimdienst für allerlei Unheil verantwortlich macht, hat ebenfalls Amateur-Videos gesehen. Eggert glaubt nun, dass “ganz sicher Profis” für die Morde verantwortlich seien. Natürlich machte der Agitator, der in seinen Werken monströse Konspirationen herbeischreibt, Mossad-Agenten als Täter aus. Mal wieder wurde Gutjahr und dessen Ehefrau benutzt, um den Mythos von den Mossad-Morden zu konstruieren. Israel habe von München profitiert, meinte Eggert, der sich mit dem realen Täter nur am Rande befasste, um den Fall zu schließen.
Auf der Internetseite des Kopp-Verlags finden sich ähnliche Theorien, auch wenn sich der Autor des Artikels zu den Ereignissen in München einer blumigeren Sprache bediente. Gerhard Wisnewski, der sich unter anderem mit einer „Titanic-Verschwörung“ befasst, erzählte erneut die Geschichte vom Journalisten und von der israelischen Partnerin. Dabei entstand das Bild “einer jungen Frau”, die “mit eiskalten Augen und der Ausstrahlung eines Kühlschranks” ausgestattet sei – und für einen israelischen Geheimdienst arbeiten könnte: “Kommt er etwa auf diesem Wege an seine heißen Informationen, vielleicht sogar über bevorstehende Attentate”, fragte Wisnewski seine Leserschaft.
Im Visier von Verschwörungsgläubigen
In den sozialen Netzwerken finden sich ganz eindeutige Antworten, die von Gläubigen verbreitet werden. Offen wird von einer Aktion des israelischen Auslandsgeheimdiensts gesprochen, um auf den ARD-Journalisten und auf die ehemalige Abgeordnete zu deuten. Auf YouTube mehren sich Videos, die das Märchen reproduzieren. So wird ein Mossad-Mythos fortgeschrieben, der Israel auch für die Morde von München verantwortlich macht. In einer eindeutigen und sehr deutschen Tradition steht die Entlastung des realen Täters, die auch in diesem Fall erfolgt.
Der Angreifer, der acht Menschen erschoss, war stolz darauf, sich mit einem gewissen Adolf Hitler den Geburtstag zu teilen. David S., in München geboren und sozialisiert, griff am Jahrestag des Breivik-Massakers zur Waffe, um Personen zu richten, die er verachtete. Sämtliche Opfer waren junge Menschen, die aus der Türkei und dem Kosovo stammten. Diesen Täter, dem der Massenmörder Breivik ein Vorbild war, werden die antisemitischen Verschwörungsfans schnell vergessen. Stattdessen munkelt man vom Mossad, dem eine gewisse Macht unterstellt wird.
Der Auslandsgeheimdienst des israelischen Staates ist schon lange ein Feindbild verschwörungsideologischer Agitatoren. Einige Krankheiten, viele Terrorakte und manchmal sogar Naturkatastrophen werden genutzt, um den Mossad in Haftung zu nehmen. Er soll für die mörderischen Attacken des 11. Septembers 2001 verantwortlich sein. Die Morde von München werden nun ähnlich gedeutet. AIDS oder Krebs stehen im Mittelpunkt von Mythen, die Israel und den Mossad als Verursacher ausmachen. Manche Verschwörungsgläubige finden sogar nach Tsunamis und Erdbeben die passenden Indizien, die zu ihrem Weltbild passen. Die umfassende Allmacht, die dem Mossad nicht nur in diesen Fällen unterstellt wird, erinnert an andere Ohnmachtsphantasien, die den historischen Antisemitismus prägten.