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Abstecher in ein deutsches Dorf

Das ehemalige “Gaumusterdorf” Dötlingen ist ein Beispiel für postnazistische Verhältnisse in Norddeutschland. Symbole aus den Zeiten des Nationalsozialismus finden sich auch heute auf den alten Gebäuden, die rechte Reisende noch im neuen Jahrtausend bewundern. In der Gemeinde stellte die NS-Nachfolgepartei NPD nach der CDU und über Jahre die zweitstärkste Fraktion im Gemeinderat. In diesem Jahrtausend nutzen Nazi-Banden das bei Oldenburg gelegene Dorf, das die eigene Vergangenheit weitgehend verdrängt, als Kulisse für rechten Aktionismus.

Doetlingen-Karte

Braunes Idyll im Grünen

Mit dem Jahr 1933 kam nicht nur die Machtübergabe an die NSDAP. Schließlich entstand damals die geografische Einheit namens Dötlingen. In der neu gebildeten Gemeinde lebten zu diesen Zeiten rund 6.000 Personen. Drei Jahre später ernannten die Nazis das Gebiet zum „Gaumusterdorf“. Dötlingen diente bereits zuvor als Drehort für NS-Heimatfilme. Im April 1934 wurde im Örtchen bei Oldenburg die letzte Szene eines völkischen Machwerkes gefilmt.

Im NS-Streifen „Das alte Recht“ geht es um den deutschen Bauern, seine Ehefrau und die Scholle. In der Blut- und Boden-Schmonzette traten Darsteller auf, die in weiteren Propagandafilmen zur Legitimierung der antisemitischen Vernichtungspraxis beitrugen. So stellte sich Schauspieler Bernhard Goetzke ebenso wie Komponist Wolfang Zeller für das filmische Verbrechen „Jud Süß“ zur Verfügung.

In „Das alte Recht“ sind derweil auch Laiendarsteller aus der Region sowie Statist_innen aus der Gemeinde zu sehen. „Wir treffen viele gute Bekannte in unserem Heimatfilm“, bemerkten die Oldenburger „Nachrichten“ daher nach der Premiere. Schließlich waren regional bekannte Darsteller wie Fritz Hoopts zuvor als Laienschauspieler an der Niederdeutschen Bühne Oldenburg aktiv.

Carl Röver, der damalige Gauleiter im Freistaat Oldenburg, begeisterte sich bei der Uraufführung für den völkischen Streifen. Der fanatische Nationalsozialist lobte den „Geist der unauflösbaren Verbundenheit von Blut und Boden, der so eindringlich aus dem Film spricht“. Dötlingen sei „ein Gebiet von seltener Schönheit und großen Reizen“, hieß es derweil im nationalsozialistischen „Filmkurier“.

Wallfahrtsort für Völkische

Dieses Dötlingen profitierte damals von rechten Reisenden, die gerne durch die NS-Kulisse flanierten. Die bäuerliche Ansiedlung im Grünen wurde von NS-Kadern und sympathisierenden Kameradschaften aus dem Ausland besucht. Solche Gestalten erfreuten sich an der bis heute vorherrschenden völkischen Ästhetik, die aus uralten Eichen, nationalsozialistischen Symbolen und übergroßen Findlingen entsteht.

Besuchende bewunderten bereits damals einen gewaltigen Brocken, den die Bewohnenden 1933, zur Feier des an die Macht gelangten „Führers“, auf dem zur Gemeinde gehörenden Gierenberg weihten. Ihr Stein zierte ein großes Hakenkreuz und eine Rune. Letztere ist noch heute auf dem Brocken zu erkennen, den die Gemeinde mit einem Hinweisschild bewirbt.

Angehörige der „Hitler-Jugend“ erhielten am Fuße des Berges im Püttenhus ideologische Schulungen. Es waren die Einheiten der Alliierten, die den deutschen Spuk zu Dötlingen beendeten. Das Hakenkreuz wurde entfernt und der Stein auf die Seite gelegt. Andere Symbole blieben ebenso wie die Runen am HJ-Schulungsheim erhalten. Dass sich rechte Besuchende bis in dieses Jahrtausend für Dötlingen begeistern, scheint die Gemeinde nicht zu stören. Schließlich verzichtet das deutsche Dorf auch im 21. Jahrhundert auf kritische Einordnungen, wobei Verantwortliche die braune Vergangenheit oftmals verschweigen.

Manchen Gebäuden fehlt jeder Hinweis auf die Vergangenheit. Das gilt zum Beispiel für das Rogge-Haus. Den gleichnamigen Bauern ermordeten Männer des „Freikorps Adolf Hitler“, nachdem sie den „Gegner des Nazisystems“ am 14. April 1945 und unter einem Vorwand in ihr Fahrzeug gelockt hatten, auf der Landstraße in Richtung des nächsten Kaffs. Seine Leiche ließen die Mörder liegen. Sie dekorierten den Körper des Willi Rogge dafür mit einem Schild: „Wer sein Volk verrät, stirbt“.

Dötlingens deutsche Kontinuitäten

Dötlingen blieb als Gemeinde auch in den folgenden Jahrzehnten eine rechte Hochburg. Dort kam es 1976 – so berichtete der “Arbeiterkampf” des Kommunistischen Bunds – offenbar zu einer erstaunlichen Kooperation.  “Um doch noch den Bürgermeisterposten zu angeln”, bildeten “SPD und FDP eine Zählgemeinschaft” mit einem “NPD-Faschisten”, kritisierte das Blatt in Ausgabe 95 auf der achten Seite.

“Sie haben mit ihm eine Stimme Mehrheit”. Das Blatt vermutete: “Die Politik dürfte eben dieser Faschist bestimmen”. Lokale Erfolge der NPD, die in der Region weitgehend durch die AfD abgelöst wurde, gerieten in den folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit. Die neue Rechtspartei nutzte das „Gaumusterdorf“ ebenfalls als Bühne für ihre Veranstaltungen. Nazi-Gruppen wie die „Brigade 8 Bremen“ kommen gleichfalls in die Gemeinde. Sie hinterlassen Kränze, die verstorbenen Nazis für die “Treue für’s Vaterland“ danken, während auf dazugehörigen Lichtern dem “Tatenruhm” der Toten gedacht wird.

Dötlingen verdrängt derweil weiter, sodass die Gemeinde bis heute nicht an den in den letzten Tagen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges ermordeten Willi Rogge erinnert. Erst seit 2009 gibt es eine Granitsteele, die diesen Nazi-Gegner einschließen soll, was Angehörige indes als ungenügend kritisieren. Es ginge um “alle zivilen” (sic!) “Opfer des NS-Regimes”, begründete der Heimatverein den Stein, der völkische Denkmäler ergänzt. “Wir waren der Meinung, dass es nunmehr – nach 60 Jahren –  an der Zeit war , dieses Vorhaben anzupacken”, sagte die Vorsitzende zudem.

Ein Kriegerdenkmal findet sich direkt in der Nachbarschaft. Verharmlosende Hinweisschilder stehen derweil bei den in der Nähe zu findenden NS-Stätten. Das gilt nicht nur für den Nazi-Stein auf dem Gierenberg, sondern auch für das Püttenhus, an dem die genannten völkischen Symbole, für die sich ganz bestimmte Touristen begeistern, zu sehen sind. Ihre Begeisterung belegen Berichte, die solche Besuchende nach ihrem Abstecher ins ehemalige „Gaumusterdorf“ in ihren Weblogs für rechte Reiselustige verfassten.

Auf den Spuren ihrer Ahnen

Die im Zentrum rechter Eventkultur stehenden NS-Stätten interessieren auch andere Einrichtungen. So suchte beispielsweise das “Nordwestdeutsche Museum für IndustrieKultur” aus Delmenhorst nach Personen, die sich auf die “Spuren des einstigen ‘Reichsgaumusterdorfes’ Dötlingen begeben” wollten. Derartige “Exkursion” führt, so hieß es in der reißerischen und geschichtsvergessenen Einladung, zu “Kultstätten der Nationalsozialisten”.

Der kollektive Besuch des in Dötlingen installierten Nazi-Steines, den die Organisierenden mit blumigen Worten beschrieben, sollte offenbar das Interesse wecken. Die in Oldenburg und Umgebung relevante “Nordwest-Zeitung” (NWZ) zitierte das Schreiben zum Ausflug ins ehemalige “Gaumusterdorf” recht wohlwollend. Dort wurde der Nazi-Brocken “als Denkmal für die ‘Machtergreifung'” bezeichnet.

Im Artikel idealisierte das Blatt dieses deutsche Dorf, wobei die weitgehend rechtskonservative Zeitung – fast wie damals der „Filmkurier“ –  von einer “noch heute als pittoresk geltende Atmosphäre” schwärmte. Derartige Beschreibungen dürften der Vorsitzenden des Heimatvereines gefallen. „Wir sind noch heute ein Musterdorf“, hieß es von Seiten dieser deutschen Heimatschützerin, deren Dorf die völkische Vergangenheit größtenteils verschweigt.

NS-Stätten als Ausflugsziele

Exkursionen, die in Dötlingen begannen, endeten in den vergangenen Jahrzehnten oft im benachbarten Lohne: Das Event des Museums fand ebenfalls am nahen “Schlageter-Denkmal” einen zum Abstecher passenden Abschluss. Leo Schlageter war schließlich ein nationalistischer “Freikorps”-Aktivist, der mehrere Sprengstoffanschläge beging, wofür er von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt wurde. Der völkische Verstorbene avancierte zu einer frühen Ikone der NS-Bewegung.

Die “natur- und denkmalgeschichtlich völlig uninteressante” Steinsammlung zu Lohne  ehrt diesen Antisemiten bis heute. Wie der NS-Brocken im benachbarten Dötlingen, der mit der gleichen Einordnung zu beschreiben ist, gilt das “Schlageter-Denkmal” als ein beliebter Wallfahrtsort für alte und neue Nationalsozialisten. Die Tatsache erwähnten weder das Museum noch die Lokalzeitung, die den Abstecher bewarb, aber auf kritische Einordnungen verzichtete.

Solche Einordnungen fehlen auf den Schildern im ehemaligen „Gaumusterdorf“ ebenfalls. Im früheren Schulungszentrum der Hitler-Jugend wird heute geheiratet, während das Hinweisschild die Geschichte des Hauses verschweigt und seine Symboliken umdeutet. Manchen geht das offenbar nicht weit genug. So gab es „Anträge, den Stein wiederaufzurichten“, während der NS-Heimatfilm „Das alte Recht“ in den vergangenen Jahren im Dorf mehrfach aufgeführt wurde. In Dötlingen, dieser Schreckenskammer der deutschen Provinz, steht die kritische Aufarbeitung der völkischen Vergangenheit offensichtlich weiterhin aus.

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