Tag Archive: Schuldabwehr

Tour durch Tungeln

Auf einer Rückreise, um einem Stau zu entgehen, verließen wir, irgendwann im Spätsommer 2023, die volle Autobahn. Über leere Landstraßen fuhr unsere kleine Reisegesellschaft durch deutsche Dörfer, welche die anvisierte Kleinstadthölle umgeben. Irgendwo im Nirgendwo, zwischen Ostfriesland und Oldenburg, legten wir eine kurze Pause ein. So stromerten wir durch eine im Grünen gelegene Tristesse namens Tungeln.

Huldigung der Vorfahren

Im Ortskern zeugten rassistische Aufkleber von den Zuständen im deutschen Dorf. An den Bushaltestellen fanden sich derweil Plakate mit spöttischen Seitenhieben gegen Klimaschützende: „Statt auf der Straße kleben“, sollten sie besser den öffentlichen Nahverkehr „beleben“. Für die Hetze an Laternenpfählen ist die AfD verantwortlich. Das in Reimen verkleidete Ressentiment an den Bushaltestellen verantwortet unterdessen die Gemeinde Wardenburg, zu der Tungeln gehört.

Im Zentrum der aus etwa 1.450 Personen bestehenden Ansiedlung stoßen Reisende derweil auf eine kleine Kultstätte, die der Verdrehung der Vergangenheit dient. Es handelt sich um ein gepflegtes Plätzchen. Mit der vergleichsweise kleinen Anlage, die sich im Herzen Tungelns befindet, machen die Nachkommen der Nazis die mordenden Mitglieder ihrer Dorfgemeinschaft zu Opfern. Die Trauer gilt den einheimischen Tätern, deren Handeln die Stätte heroisiert.

Wie in ähnlichen Anlagen, die in den zwischen Bremen und Oldenburg liegenden Dörfern errichtet wurden, kombiniert die auf einem großen Stein angebrachte Gedenktafel deutschen Opferkult. Sie erinnert an die Vorfahren, die sich an einem von zwei verbrecherischen Akten beteiligten. Neben den Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 im ersten großen Krieg mordeten, finden sich die Namen von Tätern, die im Zweiten Weltkrieg für „Führer, Volk und Vaterland“ den Vernichtungskrieg führten. Dass das Wehrmachtspersonal vielfach am Morden partizipierte, benennt das Monument nicht.

Bunker im Erholungsgebiet

Neben dem Mahnmal schlängelt sich ein Weg, der vom Zentrum in die grüne Idylle führt. So flanierten wir zwischen Mais-, Raps- und Spargelfeldern, bis wir zu einem mit rostenden Stacheldrahtzäunen eingegrenzten Wäldchen gelangen. Wegweiser zeigen, dass wir uns dem angrenzenden Tillysee nähern. Das bei Einheimischen trotz Badeverbot beliebte Gewässer ist von alten Wehrmachtsbunkern umgeben.

Die verfallenen Überreste des „Schießstandgeländes“, das den Vorfahren der Badenden zur Vorbereitung für die nachfolgenden Gräuel diente, gehören wie der Tillysee zum Teil eines „naturorientierten Naherholungsgebietes“. Auf den Werbetafeln heben die Verantwortlichen die Vorteile der Anlage hervor. Die brutale Vorgeschichte des Areals benennen ihre Erklärungen nicht.

Die nahe gelegene Stadt Oldenburg bewirbt die Mischung aus Wehrmachtsanlage und Waldgebiet ebenfalls. Zur Historie des angrenzenden Gewässers erfahren Lesende lediglich, dass der Tillysee nach einem „Heerführer und Feldherren des Dreißigjährigen Krieges (…) benannt“ wurde. Dass das Areal in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zur Erprobung von Angriffskriegen diente, verschweigt die auf der städtischen Internetseite veröffentlichte Darstellung ebenfalls.

Werbung ohne Wehrmacht

Der Text zum Tillysee verweist stattdessen, erneut ohne irgendeine erklärende Einordnung, auf eine an den See angrenzende Stätte, die alte und neue Nazis bezaubern dürfte. Auf einem Hügel in direkter Nachbarschaft zum Tümpel steht schließlich ein gewaltiger Findling, der erneut  deutsche Täter zelebriert. Schon aus der Ferne sind der Wehrmachts-Helm sowie ein zu dieser Inszenierung passendes Schwert zu erkennen.

Wer sich dem auch vom Landkreis beworbenen „Kriegerehrenmal“ nähert, kann alsbald die Schrift zur Verehrung der mordenden Vorfahren lesen. Den von Deutschland ausgelösten Ersten Weltkrieg heroisiert der erste Teil der Inschrift. Auf dem Brocken heißt es, dass „214 Söhne (…) für des Vaterlandes Schutz und Ehre“ ihr Leben ließen.

Solcher Heldenkult findet sich auch im zweiten Teil der Aufschrift, die Täter von Wehrmacht und Waffen-SS als weitere Opfer äußerer Aggression erscheinen lässt. So preist die postnazistische Huldigung insgesamt „439 Brüdern und Schwestern der Gemeinde und der vertriebenen Deutschen“. Diese „gaben ihr Leben für ihre Heimat“, heißt es auf dem Brocken, der ein hervorragendes Beispiel für deutsche Geschichtsverdrehungen ist.

Hoffnung auf Aufhebung

Nach der militärischen Zerschlagung des nationalsozialistischen Vernichtungsprojektes stellten sich die Teilnehmenden gegenseitige Persilscheine aus, wobei sich die Mordenden und ihre Angehörigen einem kollektiven Gedächtnisverlustes hingaben. Ihr Leugnen ging mit einem geschichtsrevisionistischen Heldenkult einher, der die historischen Tatsachen verdrehte. Im nördlichen Niedersachsen wurden zahlreiche Findlinge, die regionale NSDAP-Strukturen als Aufmarschorte nutzten, mit entsprechenden Aufschriften versehen. Bestehende Anlagen zur Huldigung des 1. Weltkriegs, wie die Anlage in Tungeln, erweiterten maßgebliche Protagonisten in den ersten Jahren der Bundesrepublik ebenso.

Am Tillysee versuchten sich hiesige Akteure des postnazistischen Westdeutschlands, in dessen Institutionen zahlreichen NS-Tätern ungestraft eine zweite Karriere gelang, ebenfalls an der Verdrehung der Vergangenheit. Den unter anderem in der Sowjetunion praktizierte Vernichtungskrieg und die Gräuel in besetzten Gebieten machten sie mit ihrer Aufschrift zum Teil einer Maßnahme, die der Verteidigung der „Heimat“ diente, wodurch die einheimischen Opfer entstanden. Dass viele der gehuldigten Wehrmachtssoldaten in Wahrheit zwischen Warschau und Wolgograd begraben liegen dürften, benennt die Inschrift natürlich nicht.

Selbst im neuen Jahrtausend scheint den nachfolgenden Verantwortlichen die geschichtsrevisionistische Gedenkstätte am Herzen zu liegen. Offenbar beauftragten die zuständigen Strukturen, anstatt einer ohnehin viel zu spät erfolgten Sprengung, vor unserem Zufallsbesuch die Pflege des Brockens. Daher waren die Huldigung und die Symbole im Spätsommer 2023 für uns gut auf dem gründlich gereinigten Findling abzulesen.

Leider gelang es unserer kleinen Reisegruppe nicht, die steinerne Verhöhnung der Vernichteten spontan von ihrem Sockel zu stoßen, sodass wir uns nach unserem symbolischen Versuch voller Zorn über diese Zumutung zu unserem Fahrzeug bewegten. Als wir Tungeln und seinen Tillysee hinter uns ließen, blieb uns nur die Hoffnung auf die Aufhebung der deutschen Zustände. Bei der Weiterfahrt träumten wir daher von besseren Zeiten, in denen sich endlich der systematische Abriss derartiger Anlagen genießen lässt.

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Schuldabwehr im Weltkriegstempel

Zum “Volkstrauertag” gedenkt die Stadt Oldenburg einer “unvergessenen deutschen Stadt im Osten”. Mit ihrem Kranz knüpft sie an die jahrzehntelange Propaganda von selbsternannten und sogenannten “Heimatvertriebenen” an, welche die lokale Geschichte nach 1945 entscheidend prägten. Der geschichtsrevisionistische “Leobschützstein”, den die Stadt jedes Jahr schmückt, verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus, deren Mahnmale nur einige Fußschritte entfernt gelegen sind. An einem anderen Ort, der sich ebenfalls in Oldenburg befindet, gedenkt das deutsche Bürgertum derweil dem Sterben von vorher mordenden Wehrmachts- und Reichsheer-Soldaten.

Von Inszenierungen und Idealisierungen 

Zum “Volkstrauertag” versammeln sich Verantwortliche der hiesigen Zivilgesellschaft an einer weiteren Gedenkstätte, die gut zum geschichtsrevisionistischen “Leobschützstein” passt. Das im nicht weit entfernten Stadtteil Eversten befindliche Bauwerk, eine “Ringpfeilerhalle”, glorifiziert das Sterben deutscher Soldaten, die in den Weltkriegen mordeten. In der dortigen Anlage deponiert ein Mitglied vom örtlichen “Bürgerverein” jedes Jahr einen großen Kranz, um auch den gefallenen Deutschen zu erinnern, die zwischen 1939 und 1945 als Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie dienten.

Das makabre Spektakel fand bis 2020 im Rahmen einer gruseligen “Gedenkfeier” statt. Derweil inszeniert die Stadt den Ort, der den hiesigen “Opfern” (!) beider Weltkriege gewidmet ist, für Besuchende. An der neben einer Autobahnausfahrt gelegenen Anlage steht daher eine “Informationsvitrine”, die der “Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg” verantwortet. Die “durch ein studentisches Projekt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg” gestaltete Erklärung idealisiert den rötlichen Rundbau aus deutscher Vergangenheit. Ein hiesiger Historiker, Georg Götz, nutzt feierliche Worte, die der städtisch-studentische Werbetext zitiert.

Ringpfeilerhalle in Oldenburg Eversten

Der Forscher und die “Flamme”

An der “Ringpfeilerhalle”, einem deutschen “Kriegerdenkmal” von 1925, erfahren Besuchende wegen der Studierenden und der Stadt, dass sie und die Pfeiler des Gebäudes “mit den Toten, die durch die Gedenktafeln symbolisiert werden, einen Kreis bilden”. Im zentralen Zitat schwärmt der Forscher von dem Ort, der ihm eine “ewige Flamme im Gedenken” bietet, die “Lebende wie Tote (…) im Gedenken” vereint. Indem Georg Götz das schon vor fast 100 Jahren von völkischen Kräften geforderte “Kriegerdenkmal” wie in seinem Aufsatz zum “Typus der Ringpfeilerhalle im Oldenburger Land” idealisiert, erlebt der einer Querfront aus Sozialdemokratie und rechtem Bürgertum zu verdankende Bau, der deutschen Opfermythen dient, auch in der Gegenwart eine entsprechende Überhöhung.

Das Innere der “Ringpfeilerhalle”, die laut Götz eine transzendierende Gemeinschaft aus Lebenden und Verstorbenen zusammenbringt, dominiert ein graues Kreuz, auf dem sich eine erschreckende Inschrift befindet: “Ihr Sterben war ihres Lebens größte Tat”, heißt es in der aus rötlichen Steinen gemauerten Anlage, die bis heute ihre Funktion als Stätte des deutschen Heldenkults erfüllt. Dass diese deutsche Heldenphrase sich selbst für die rechtskonservative Lokapostille nicht mit “unseren Kenntnissen über die beiden Weltkriege (…) vereinbaren” lässt, scheint vor Ort aber nicht zu stören.

Die 2019 entwickelte Darstellung der “Informationsvitrine” bezieht sich stattdessen erneut auf Georg Götz. Ihm “erscheint” (sic!) die 1953 hinzugefügte Heldenparole “heute fragwürdig”. So lehrt dieser Forscher über die völkische Phrase im “Kriegerdenkmal”. Götz schreibt nicht, dass die Parole wie nachträgliche NS-Propaganda aus postnazistischen Adenauer-Zeiten klingt.

Heldenkult in der Ringpfeilerhalle zu Oldenburg Eversten

Trauerfeiern für deutsche Täter

Auch im neuen Jahrtausend nutzen Nachfahren von NS-Soldaten ihren “offenen Rundtempel”, um dem deutschen Opfermythos mit einer Kranzniederlegung zu frönen. Zum “Volkstrauertag”, der in Deutschland zuallererst der praktischen Schuldabwehr dient, befestigt ein Mitglied vom örtlichen “Bürgerverein Oldenburg-Eversten e.V.” daher Jahr für Jahr ein großes Tannengesteck. Die Schleife gedenkt den deutschen Soldaten der Weltkriege. So heroisieren die Nachfahren in Oldenburg weiterhin Angehörige der verbrecherischen Wehrmacht.

Dass “Vereine Everstens” am “Volkstrauertag” den Soldaten der den Vernichtungskrieg praktizierenden Wehrmacht sowie den mordenden Truppen des wilhelminischen Imperialismus gedenken, unterstützen offenbar diverse Einrichtungen der deutschen Zivilgemeinschaft. In der jüngeren Vergangenheit fanden sich beispielsweise strammstehende Mitglieder der örtlichen Berufsfeuerwehr und andächtige Angehörige des städtischen “Markt-Managements” zu einer “Gedenkfeier” mit Kranzaufhängung zusammen. Die “Nordwest Zeitung” veröffentlichte eine Fotoserie, die das damalige Gedenkkollektiv in diesem “Bestandteil der Everster Stadtteilkultur” bei der Schuldabwehr zeigt.

Kranz in der Ringpfeilherhalle in Oldenburg Eversten

Die Stadt und ihr Weltkriegstempel 

Soldaten, die aus Stadtteilen wie Eversten oder Moslesfehn in die von Deutschland verbrochenen Weltkriege marschierten, erinnerte der “Bürgerverein” aus Eversten auch 2020, wobei die Kranzaufhängung aufgrund der Pandemie ohne “Gedenkfeier” auskommen musste. Dass die Struktur des Bürgertums im deutschen Gedenken des ersten Corona-Jahres sämtliche Bewohner des Stadtteiles vereinnahmte, die auf der rechten Schleife des deutschen Kranzes aufgeführt wurden, muss nicht verwundern. Es gibt keine Proteste gegen den militaristischen Bau, der den Stadtteil seit fast 100 Jahren verunstaltet. Stattdessen sichert die Stadt Oldenburg, die schon die Errichtung des Ungetüms teilfinanzierte, noch im 21. Jahrhundert den Erhalt des “Kriegerdenkmales”, das spätestens seit 1953 vor allem der Huldigung von gefallenen Wehrmachtssoldaten dient.

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Redner der Corona-Leugnenden

Für ihren “Querdenken”-Aufmarsch in Oldenburg, mit dem die Corona-Leugnenden die postnazistisch-bürgerliche Demokratie im Sarg zu Grabe tragen wollten, fand die Gruppe der Organisierenden einen geeigneten Redner aus der Region. Auf der abschließenden Kundgebung in Oldenburg, die am 24.10.2020 auf dem Schlossplatz stattfand,  sprach der in Nordenham lebende Autor Frank-Rüdiger Halt. Er veröffentlicht seine antikommunistisch-verschwörungsideologischen Machwerke in einem größeren  Selbstkostenverlag. Dazugehörige Auftritte bewirbt die Tageszeitung.

Ansichten eines Verschwörungsautoren

Der 1956 in die Bundesrepublik ausgewanderte Halt war nach Eigenangaben in Westdeutschland als Diplom-Physiker und als “Schulmeister” tätig, bevor er sich als “Gründer mehrerer Initiativen” einer “DDR-Aufarbeitung” verschrieb. Nun produziert der Autor verschwörungsideologische Machwerke, wobei er sich auf rechtslastige “Bürgerrechtler” und “Verschwörungstheoretiker” bezieht. Dass dieser Verschwörungsproduzent mit seinen irrationalen Inhalten, in denen es um “Zersetzung” der Gesellschaft geht, derzeit auch deutsche Corona-Leugnende anspricht, ist kein Zufall.

Frank-Rüdiger Halt verwendet die für den deutschen Verschwörungsglauben, der sich heute auf Aufmärschen der Corona-Leugnenden offenbart, üblichen Phrasen und tritt für passende Videoproduktionen auf. “Ich möchte die Menschen aufwecken”, behauptet der Autor, “und zum NWO-Widerstand bewegen”. Oft munkelt Halt über eine „Neue Weltordnung“ (NWO), für die er offenbar eine „Handvoll“ Personen verantwortlich macht. Er spricht von “Macht- und Geldeliten”, die das “Volk” bereits “seit Jahrhunderten” in einen Zustand des “Wachkomas” versetzt halten, damit es nicht gegen die NWO kämpfe. Dass er altbekannte Verschwörungsmythen aktualisiert, sagt der wütende Mann nicht.

Dafür können Lesende oder Zuhörende erfahren, dass “sie” die „großen Medien“ und die westlichen Staaten kontrollieren. “Dass wir belogen werden, schon seit Jahrhunderten”, dessen ist sich der grauhaarige Verschwörungsproduzent sicher. So raunt der Autor, der seit Jahren offensichtlich an altbekannte deutsche Verschwörungspropaganda anknüpft, wobei er auch Aktualisierungen wie die Klimaleugnung bedient. Seine Ansichten verbreitet Halt nicht nur in Büchern, sondern auch in Interviews mit verschwörungsideologischen Videoprojekten.

Verschwörungsautor mit 34.265 Klicks

Halt ist in Formaten von „NuoViso“, das aktuell Klimaleugnung und QAnon-Propaganda produziert, zu sehen. In Gesprächen mit dem Esoteriker Götz Wittneben, der nach Eigenangaben jeden Monat „mit alten Menschen deutsche Volkslieder“ singt, wenn er nicht Einzelbesuche zu 500 Euro macht oder rechtslastige Verschwörungspropaganda produziert, ergaben sich schnell viele Gemeinsamkeiten. Beide glauben, so zeigt sich in den “Neuen Horizonte”-Sendungen von “NuoViso” vielfach, an eine uralte Konspiration, die in der Gegenwart bürgerliche Sozialstrukturen beseitigt. Ihr verschwörungsideologischer Austausch, der auch der Buchwerbung dienen soll, offenbart rasch die Standpunkte des Autoren, der bei Corona-Leugnenden beliebt ist.

Vom Antifeminismus und der Schuldabwehr

In den Gesprächen vor der Kamera beklagen beide Verschwörungsproduzenten eine andauernde Zerstörung der bürgerlichen Kleinfamilie, die durch die Moderne im Allgemeinen und den Feminismus im Besonderen bedroht sei. Dass Frank-Rüdiger Halt vielfach anti-feministische Positionen einnimmt, zeigt sich auch mit einer typischen Chiffre – sowie dem dazugehörigen Verschwörungskonstrukt: Ein Rockefeller habe die „Emanzipation der Frau (…) erfunden und finanziert, (…) um die Kinder (…) und die Steuergelder der Frau zu bekommen”, spricht der Autor. Er gibt den Dozenten, während sein Kompagnon vor einer „androgynen Gesellschaft“ warnt.

Der misogyne und verschwörungsideologische Irrationalismus, in Form der kum­pel­haften Stammtischanekdote, geht mit ahistorischen Gleichsetzungen einher. So bietet Halt passende Erklärungen für Nachfahren von deutschen Tätern, welche organisatorisch an den hiesigen Aktionen der von Corona-Leugnenden beteiligt sind. Dabei nutzt er unter anderem typische Terme wie „Sippenhaft”, wobei er nicht nur im Gespräch mit Wittneben eine Möglichkeit der Schuldabwehr für direkte Täter und die Nachgeborenen bietet. “Es steht mir ja gar nicht zu, dass im Nachhinein zu beurteilen”, lautet sein Persilschein.

Dass er mit seinen Tiraden immer wieder den Nationalsozialismus relativiert, zeigt sich auch in den Interviews deutlich. Während der Verschwörungsproduzent ideologische Kameraden wie Daniele Ganser lobt, wütet er unter anderem gegen Greta Thunberg: “Also Heute haben wir massenhaft Propagandisten, so wie es sie nie gegeben hat. Dabei war das harmlos, glaube ich”, empört sich der Stammtisch-Autor, “unter ’33 und später.” Mit ungeheuerlichen Verharmlosungen, die Opfer und Nachfahren der Shoah verhöhnen, dürfte sich Halt für einen Auftritt bei den Corona-Leugnenden in Oldenburg qualifiziert haben, die auf ihren Zusammenkünften und im Internet ähnliche Abscheulichkeiten des Antisemitismus erbrechen.

Werbung im Provinzblatt

Seine verstörenden Verhöhnungen verbindet Halt mit einer für den deutschen Verschwörungsglauben typischen Abneigung. Der Sozialismus sei eine “Erfindung von Intellektuellen”, doziert der früher in der Gauck-Behörde tätige Verschwörungsideologe, der sich auch an dieser Stelle in den Bereich völkischer Geschichtsschreibung begibt. Im Anschluss spricht Frank-Rüdiger Halt von Adolf Hitler, den er auf diese Weise zum Produkt von Personen wie Karl Marx macht, was Halts offene Verachtung vor der “echten Bewegung” veranschaulicht, die ihm in ihrer vermeintlichen Allmacht auch für die “US-imperiale Globalisierung” und Tote des Mittelalters verantwortlich scheint.

Verschwörungsphrasen für die Gläubigen: Oldenburg (24.10.2020)

Wenn Halt spricht, dann verwendet er typische Verschwörungschiffren, um die für „Vernichtung“ verantwortliche „Machtelite“ zu identifizieren, die er – auf den geistigen Spuren seiner deutschen Ahnen – für den drohenden Kommunismus sowie den heutigen Kapitalismus in Haftung nimmt. Während der empörte Autor – ganz klassisch – von “den Rockefellers” schwadroniert, träumt er davon, dass sich die „Untertanen-Völker“ erheben. Solche Verschwörungsfantasien sprechen derzeit Gläubige an, die sich auf Manifestationen der Corona-Leugnenden zusammenfinden.

Mit entsprechenden Inhalten befriedigt Halt diese Zuhörer_innenschaft. Allerdings ist der Verschwörungsautor auch an anderen Orten in der Region aufgetreten. Schon 2016 las Frank-Rüdiger Halt aus seinem Buch „Volk im Wachkoma“. Die Lesung in einem Seniorenzentrum wurde, so wie derzeitige Versammlungen der Corona-Leugnenden, in der Nordwest-Zeitung (NWZ) beworben. Dort erscheinen die aktuellen Ansammlungen der Verschwörungsgläubigen nicht als konkrete Bedrohung, sondern als Event der Meinungen, wobei die Zeitung sogar Terminhinweise der Verschwörungsgläubigen veröffentlicht.

Im regional bedeutenden Provinzblatt, das aktuelle Auswüchse des deutschen Irrationalismus seit Wochen verharmlost, fand sich ein werbender Hinweis auf die damalige Lesung, wobei diese Tageszeitung im Text sogar eine Telefonnummer zur Vereinbarung von weiteren Auftritten mit ihrem “freundlichen Querdenker” veröffentlichte. Dass dieser Vortragende den verschwörungsideologischen Dreiklang aus Antifeminismus, Antikommunismus und Antisemitismus bringt, wurde nicht erwähnt. Daher muss es nicht verwundern, dass sich solche Erkenntnis auch nicht im Hinblick auf die inhaltsähnlichen Veranstaltungen der Corona-Leugnenden in der NWZ-Redaktion durchsetzen konnte.

 

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