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Aus dem Inneren einer Verschwörungspartei: Mordaufruf im Messenger

Dass zum aktuellen Verschwörungswahn die deutsche Vernichtungsphantasie gehört, beweisen Corona-Leugnende in öffentlichen Telegram-Chats. Die Angehörigen des “Die Basis”-Kreisverbands “Hunte-Weser-Ammerland” nutzen das Kommunikationsprogramm  zu organisatorischen Zwecken, zur zeitnahen Mobilisierung sowie zur weiteren Ideologisierung. Mitglieder der verschwörungsideologischen Partei debattierten im regionalen Kanal, ob sie politische Charaktermasken direkt ermorden oder nach einem Gerichtsverfahren einsperren wollen.

Leugnende im Gründungsfieber

In der Pandemie die Gefährlichkeit von Covid-19 zu leugnen, bleibt nicht nur für eine radikalisierte Minderheit sogenannter “Querdenker” populäre Praxis. Daher bildeten sich in den vergangenen Monaten parallele Strukturen, die an die inhaltliche Vorarbeit von “Querdenker”-Gruppen und Corona-Verharmlosenden anknüpfen konnten. Es entstanden Parteien, die Verschwörungsgläubige für die erträumte Machtübernahme sammeln. So organisiert sich ein Teil des esoterisch-verschwörungsgläubigen Bodensatzes, den der deutsche Corona-Kapitalismus  hervorbringt.

Nachdem sich das Vorgängerprojekt „Widerstand 2020“ rasch erledigt hatte, weil es zum Machtkampf zwischen Verschwörungsgläubigen mit Führungsanspruch kam, transformierten Corona-Leugnende am 4. Juli 2020 ihre Alternative zur AfD. Mit der Forderung nach einer freien “Impfentscheidung” wirbt die neue “Basis”Partei seitdem um Mitglieder. Der Appel nach “Meinungsfreiheit” und die Furcht vor angeblicher “Zensur” dürfte bei interessierten Verschwörungsgläubigen ebenfalls gut ankommen. Ein anthroposophischer Jargon über die “Entflechtung des geistig-kulturellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereichs” könnte esoterische Personen begeistern.

Viele auf Rudolf Steiner zurückgehende Ideen finden sich im Parteiprogramm. So fordert “Die Basis” dort “das soziale Leben im Sinne der Freiheit, das Wirtschaftsleben im Sinne der Brüderlichkeit und das Rechtsleben im Sinne der Gleichheit”. Es handelt sich um Grundsätze der sogenannten “Dreigliederung”, durch die der Antikommunist und Antisemit nach dem Ersten Weltkrieg die Bewegung, welche den kapitalistischen Zustand aufhebt, abwenden wollte. In solche Tradition stellt sich die neue Partei, welche zudem den Nationalsozialismus durch Gleichsetzung mit postnazistischen Corona-Verhältnissen verharmlost, indem sie eine “Zeit der Gleichschaltung” beschwört.

“Die Basis”-Mitglieder begreifen sich als Teil einer neuen “Gemeinschaft”, die “Lobbyismus und Machtstreben” mit sogenannten “Säulen” begrenzen möchte. Ihr gehören Querdenkende und Quacksalbende an, die sich durch die Abwehr der pandemischen Realität und mit Corona-Leugnung inhaltlich radikalisieren. Ihre Partei profitiert von der aktiven Mitwirkung bekannterer Corona-Leugnerinnen und Verschwörungs-Aktivisten. Die Struktur nutzt diese Werbeträger, die sich auch andernorts als Heilsgestalten für Verschwörungsgläubige inszenieren, um Aktionismus zu befeuern oder Spendensammlung zu betreiben.

Kader der Kleinpartei

Der “Pandemie-Leugner-Anwalt Fuellmich” sorgte mit einer größtenteils fiktiven Sammelklage “gegen Drosten & Co” für Hoffnung beim zahlungswilligen Klientel, bevor er der “Basis”-Partei beitrat. Die durch ihre Corona-Partys im Luxus-Liner und ihren entmenschlichenden Jargon erschreckende Eva Rosen wurde gleichfalls Parteimitglied. Das gilt auch für den als Rechtsanwalt auftretenden Corona-Leugner Markus Haintz, der sich wie andere Führungsfiguren der neuen Partei an dem im Oktober 2020 praktizierten Putsch-Schauspiel zu Berlin beteiligte.

In der Pandemie kam der verschwörungsideologische Rädelsführer “fast im Minutentakt auf die Bühne”, um bei vielen Aktionen der Corona-Leugnenden vermeintliches “Unrecht und Rechtsskandale zu verkünden”, was dem Opfernarrativ der antisemitischen Verschwörungsbewegung sowie der dazugehörigen Partei entspricht. Für die neue “Basis” des Aktivisten tritt mit Frederike Pfeifer-de Bruin auch eine als Stichwortgeberin auftretende Akteurin der Corona-Leugnenden aus der Region um Oldenburg ein. Zudem begeistert sich der örtliche “Aufstehen”-Ableger um den linksdeutschen Verschwörungsaktivisten Herman Jack für die junge Gruppierung.

Auf lokaler Ebene vereint “Die Basis” relevante Multiplikator_innen der deutschen Corona-Verharmlosung, die auch im neuen Parteikollektiv gegen die derzeitigen Gesundheitsempfehlungen und den menschlichen Anstand verstoßen. “Es” ginge “nicht um die Position eines Einzelnen, sondern darum für und mit der Gemeinschaft eine Position zu beziehen”. Das sagt Eva Rosen, die mit garstigem Gesang und gemeinem Geraune vor einiger Zeit in Oldenburg vorfuhr, zur Motivation der Mitgliedschaft.

Von der “Schamanin” zum “Machtbegrenzer”

Aus esoterisch-verschwörungsideologischem Personal bildete “Die Basis” zum Ende des ersten Corona-Jahres ihre Landesverbände. Neben einer “Heilpraktikerin” und einer “Schamanin” ist der verschwörungsgläubige Geschäftsführer eines Küchenmöbelgeschäfts im seit 20.09.2020 existierenden Vorstand für Niedersachsen vertreten. Die Satzung der Landesstruktur, deren Entstehung mit freundlichen Hinweisen in rechtskonservativen Lokalzeitungen belohnt wurde, sieht zudem einen “Querdenker” als Vorstandsmitglied vor.

Auch dieses Mitglied ist ein Beispiel für die personellen und ideologischen Überschneidungen in ein diffus-deutsches Verschwörungsmillieu, das die Manifestationen zur Corona-Leugnung prägte. Ihr derzeitiger Träger, Andy Lorenz, warnt vor “Corona-Irrsinn”, während er sich als Freund der Heranwachsenden inszeniert. Der in Cloppenburg lebende Vorstands-“Querdenker” steht zudem für das Munkeln über nicht näher benannte Personen, welche laut Lorenz “die Wirtschaft aktiv an die Wand (…) fahren”. 

Trotz typischer Phrasen von “Freiheit” und “Demokratie” zeigt sich der autoritär-verschwörungsideologische Charakter der Partei schnell. Die Satzung der “Basis” sieht vor, dass “Interna (…) als Verschlusssache deklariert werden können”. Die niedersächsische Führung leistet sich zur Absicherung der hierarchischen Strukturen außerdem eine “Art innerparteiliche Polizei”. Sie besteht aus einem eigentlich in der “Luft- und Raumfahrt” tätigenden Funktionär, dem die neue Position als  “Machtbegrenzer” gefällt.

Die Kontrolle von Basis und Vorstand ist für den derzeitigen Partei-Polizisten, Christian Klages, wahre “Berufung”. Der Funktionär verweist auf seinen “ausgeprägten Gerechtigkeitssinn”. Es sei eine “tolle Möglichkeit”, sich “als Machtbegrenzer für das Land Niedersachsen einzusetzen”, sagt Klages, dessen Partei angeblich mehr als 8.000 Mitglieder besitzt. Einige tauschen sich auf Facebook-Seiten der Struktur aus, wobei sich oft ein bizarrer Personenkult um eigenes Führungspersonal sowie manchmal paranoide Furcht vor einer omnipotenten “dunkle[n] Macht” offenbart.

Maskenloses Beisammensein: Kreisverbandsgründung im Februar

Reize des Regelbruchs

Als die Gründung des Landesverbandes vor dem Jahreswechsel abgeschlossen war, besprachen sich interessierte Personen zur Organisation einer örtlichen “Basis”-Struktur bereits in kleineren Telegram-Kanälen. Dem ersten Abtasten im öffentlichen Chat folgten in und um Oldenburg rasch reale Treffen. Große Gruppen trafen sich Anfang des Jahres in kleinen Räumen sowie im privaten Rahmen.

Dass sich die esoterisch-konservativen Pseudo-Provokateure den damaligen Abstandsvorgaben widersetzten, dürfte zum Reiz ihrer halb-konspirativen Zusammenkünfte beigetragen haben. “Was verboten ist, das macht uns gerade scharf”, lauten passende Zeilen eines DDR-Liedermachers. Während Mitglieder ihre eigene Gesundheit ebenso wie das Leben dritter Personen wiederholt gefährdeten, ging die Gründung rasch voran.

Vor Weihnachten träumten “Die Basis”-Mitglieder noch von Parteitreffen “mit Musik und Glühwein”. Den Wunsch nach Zusammensein erfüllten sie sich spätestens im Januar. Einen Monat später erfolgte schon die Gründung der lokalen Struktur für Oldenburg und die angrenzenden Dörfer. Mit dem am 07. Februar 2021 entstandenen “Hunte-Weser-Ammerland”-Kreisverband fand der örtliche Entstehungsprozess ohne Abstand, Anstand und FFP2-Masken seinen passenden Abschluss. Die gesundheitsgefährdende Zusammenkunft dokumentieren zahlreiche Fotos.

Gesundheitsgefährdend: Gruppenphoto des Kreisverbands

Maskenlos zum Kreisverband

Bereits vor einem vorausgehenden “Basis”-Treffen verdeutlichte die Einladende, dass sie das Tragen von Masken erzürnt. So gab Anette D., die im Telegram-Chat der Parteigliederung zum Zusammensein einlud, die zukünftige Praxis der sich treffenden Mitgliedschaft vor. In ihrer verschwörungsideologischen Erklärung zu den Gründen der geplanten  Gesundheitsgefährdung raunte sie von einem “Plan” des “Tiefen Staates”, der nach ihren Angaben das “Corona-Virus” als “Hilfsmittel” einsetzt.

“Es gibt doch keinen Grund, die Lappen zu tragen.”

Andere Parteimitglieder verbreiteten ähnliche Abscheulichkeiten, die zur allgegenwärtigen Esoterik und zur verstörenden Verschwörungsparanoia ihrer Telegram-Kommunikation passten. Mit Inhalten, die manchmal an Propagandaterme des mörderischen QAnon-Kults anknüpften, entstand offenbar eine inhaltliche Basis, sodass die ersten Treffen für die sich beschnuppernde Mitgliedschaft recht erfolgreich verliefen. Zwischendurch blieb der Gruppe genügend Zeit, um sich am Gründungsprozess des “Hunte-Weser-Ammerland”-Kreisverbands zu berauschen.

Dass er sich „glücklich wie frisch verliebt fühlte“, berichtete beispielsweise ein Teilnehmer nach einer weiteren Zusammenkunft in einem Wohnzimmer, in dem Mitglieder und Nachwuchs ohne Abstand sowie die ihnen verhassten Masken saßen. Eine ergänzende Versammlung in einem ländlichen “‘Hexenhaus'” trug in und um Oldenburg zur Gründung der Struktur in Form des Kreisverbands bei. Im Anschluss verwies diese Einladende auf eine angebliche “Aura” des Hauses, während ein Sekundant die Räumlichkeiten als “heidnisch-heilige Hallen” pries.

Wie sehr diese Basis” deutsche Verhältnisse mit Verschwörungsmythen deutet sowie diese nach der “Erneuerung” durch Esoterik gestalten möchte, beweisen beworbene Inhalte im örtlichen Partei-Chat. Vielfach verbreiteten Mitglieder verstörende Verschwörungspropaganda, die langjährige Geschäftemachende wie die Anti-Feministin Eva Herman produzieren. Zur Beseitigung der vermeintlich identifizierten Verantwortlichen sind manchen Mitgliedern anscheinend brutal-blutige Exekutionen oder pseudo-juristische Prozesse recht. Das beweisen Wortmeldungen von “Basis”-Akteuren, die an ihrem Telegram-Stammtisch über das Vorgehen debattierten.

Virenaustausch im Kreisverband 

Traum vom Erschießungskommando

Am 21. August 2020 veröffentlichte die in der Entstehung begriffene “Basis” den Beitrag eines Oberarztes, der sich im Klinikums Wilhelmshaven mit “Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie” befasst. Das Mitglied warnte vor “Antichristen”, die dafür sorgen, dass “gewaltsam entwendeten Kinder interniert und konzentriert” (sic!) werden. Der Mediziner machte eine “Führung” verantwortlich, die er als Gruppe “von völlig verbiesterten, angstgesteuerten Psychopathen” mit “monströsen Gehirnen” dämonisierte.

Menschenfeindliche Positionen waren auch im öffentlichen Chat des “Hunte-Weser-Ammerland”-Kreisverbands keine Ausnahme. Der niedersächsische Ministerpräsident,  Stephan Weil, erzürnte ein Parteimitglied so sehr, dass es seine deutsche Wut mit blutroten Ausrufezeichen kundtat. Der Vernichtungswunsch der Corona-Leugnerin offenbarte sich in der Forderung nach Auslöschung des Politikers und seiner angeblichen Komplizen:

“Die gehören doch alle an die Wand!”

Den Mordaufruf der Annette D., die zuvor für eine “Basis”-Parteifunktion kandidierte, relativierte unter anderem Alexander Goretzki. Ihm ist ein “Bewusstsein” der “germanischen Wurzeln” (sic!), nach Angaben einer älteren Veranstaltungsankündigung für ein Event in der örtlichen Landesbibliothek des Bundeslandes, “zunehmend wichtiger”. Das germanophile Mitglied schrieb zu solchem Geisteszustand passende Zeilen, wobei Kritik an dem deutschen Vernichtungstraum seiner ebensolchen Parteikameradin zumindest im “Basis”-Telegramchat ausblieb.

Verteidigung einer Vernichtungsphantasie

In seiner Positionierung sprach sich der “Basis”-Wortführer gegen die Löschung aus, wobei er den Mordaufruf als Meinungsäußerung verniedlichte: “Andreas Standpunkt, eine Äußerung zu löschen, weil sie (…) Hinrichtungen evoziert, finde ich problematisch”, dozierte Goretzki. Tatsächlich setzte sich das Parteimitglied zeitweilig durch. Die Erschießungsforderung wurde erst vor einigen Tagen entfernt.

Der mit bekannteren Corona-Leugnerinnen konversierende Künstler ist nicht nur Partei-, sondern auch Vorstandsmitglied. Er führt mit drei weiteren Personen die Geschäfte einer Genossenschaft, die das in Oldenburg bekannte “Poly-Haus” betreibt. Die durch Landesmittel geförderte Vereinigung befasst sich mit “Nachhaltigkeitsprojekte[n]”. Dazu gehört der Betrieb einer Bar, die bei eher linksalternativen Nachtschwärmenden beliebt ist. Die Struktur um den anti-israelischen Postwachstums-Vordenker Niko Paech besitzt außerdem einen Aufsichtsrat, dessen Vorsitz der Linkspartei-Ratsabgeordnete und Israel-Sanktions-Befürworter Hans-Henning Adler inne hat.

Die Wortmeldung des “Polygenos”-Vorstandsmitglieds, eigentlich ein freiberuflicher Musikant, machte den Wunsch nach Ermordung des Ministerpräsidenten zum Teil des legitimen “Basis”-Diskurses. Von anderer Mitgliedschaft des neuen Kreisverbands gab es, ähnlich wie von Goretzki, verstörend viel Verständnis für den blutigen Traum von solcher Exekution: “Ich verstehe absolut deine Wut”, schrieb eine Kameradin, während ein strategisch auftretender Kompagnon darauf hinwies, dass die Debattierenden zukünftig “bestimmte Sachen lieber für sich behalten” sollten.

Corona-Kuscheln zur Kreisverbandsgründung

Abschottung der Verschwörungsstruktur

Nach der Kreisverbandsgründung waren der Mordaufruf und dazugehörige Putschphantasien bei der sich bieder gebenden “Basis”-Struktur aus und um Oldenburg ein Thema. Im Telegram-Kanal erbrach dieser deutsche Bodensatz die unverdaute Barbarei, wobei die Forderung nach einem Erschießungskommando für politische Handlungstragende von Führungsfiguren zumindest mit relativierenden Zeilen beantwortet wurde. Letztlich suchten die Verantwortlichen des jungen Kreisverbands das Gespräch mit der Urheberin:

“Wir vom Vorstand sind im Kontakt mit ihr.”

So beruhigte ein “Hunte-Weser-Ammerland”-Vorstandsmitglied seine Schäfchen, die zuvor vor allem den Dialog mit der sich unverstanden fühlenden Parteifreundin suchten. Der angehende “Basis”-Politiker positionierte sich in der Debatte, wobei er den mehrfach erwünschten Prozess gegenüber dem Erschießungskommando vorzog: “Menschen an die Wand stellen (…) geht etwas (sic!) zu weit”, erklärte dieser Funktionär “persönlich”: Es sei “besser zu sagen”, dass die Mitgliedschaft “sie gerichtlich zu Verantwortung bringen” würde, erläuterte er die verschleiernde Sprachregelung.

Im Anschluss beendeten die Betreibenden den öffentlichen Telegram-Chat zugunsten einer internen Kommunikationsmöglichkeit, wobei sich die Abschaltung des Telegram-Stammtisches bis nach Veröffentlichung dieses Beitrags verspätete. Dass es im neuen “Basis”-Treff für “Hunte-Weser-Ammerland” ähnliche Inhalte gibt, ist auch aufgrund der Abschottung nach Außen wahrscheinlich. Ganz im Gegenteil zu der Wahrscheinlichkeit, dass sich die im linksalternativen Milieu beliebte Lokalität sowie die dazugehörige “Poly”-Genossenschaft zeitnah von ihrem Vorstandsmitglied trennt und von seiner Verschwörungspartei distanziert.

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Attacke der Antisemit_innen

Mehr als einhundert Menschen nahmen am vergangenen Donnerstag in Oldenburg an einer Demonstration teil, die “Trauer um die rassistische Ermordung von 9 Menschen in Hanau” ausdrücken sollte. Vorab bewarb vor allem die verschwörungsideologische “Aufstehen”-Struktur für diese Manifestation, die von einem verbandelten Verein zur “Städtefreundschaft” mit der kurdischen Metropole Afrin organisiert wurde. Ansonsten blieb die Mobilisierung mau, was die niedrigen Teilnehmer_innenzahlen erklären dürfte.

“Aufstehen” benutzte zur Werbung eine Fotomontage, wobei sie eine Vorlage verwendeten, die einen islamistischen Aufmarsch des französischen “Collectif Contre l’Islamophobie” zeigte. Im Aufruf der Organisator_innen war unterdessen davon die Rede, dass “wir alle gemeint” (!) seien, wenn Rassist_innen wie in Hanau morden. Der Text erschien auf einem links-alternativen Weblog, der sich “Oldenburger Rundschau” nennt. Vor der Demo-Ankündigung bewarb diese Internetseite einen anthroposophischen Gnadenhof, welcher “Gemeinsamkeiten zwischen Holocaust und Tierhaltung” ausgemacht haben möchte. Hinzu kamen Hinweise auf Veranstaltungen, die das antisemitische “Bremer Friedensforum” organisierte.

Zum Beginn der Demonstration in Oldenburg, die den rassistischen Morden von Haunau folgte und auf der eine Friedens- sowie mehrere Regenbogenfahnen flatterten, attackierten Personen aus der für den Israelboykott eintretenden BDS-Struktur einige Antifaschist_innen, die gegen deren Teilnahme intervenierten. Der plötzliche Übergriff, an dem sich mehrere Antisemit_innen beteiligten, wurde während der Auftaktkundgebung von den Organisator_innen am Lautsprecherwagen, an dem DinA-4-Porträts der Opfer klebten, nicht thematisiert: sie schwiegen zum Vorfall, um stattdessen eine Rede aus München zu recyclen, die dazu aufrief, nicht wegzuschauen.

BDS in Oldenburg

Israel-Feinde: BDS-Kader in Oldenburg (27.02.2020)

Die Attacke der Antisemit_innen, die für die Betroffenen glücklicherweise keine körperlichen Konsequenzen nach sich zog, wurde offenbar toleriert. Anstatt die Täter_innen auszuschließen, übten sich die Organisator_innen im üblichen Appeasement gegenüber den BDS-Aktivist_innen. So konnte der Wortführer der bundesdeutschen BDS-Struktur, Christoph Glanz, mit seinen Unterstützer_innen weiterhin an der Auftaktkundgebung teilnehmen.

Stattdessen wurde, nur wenige Minuten nach dem Vorfall, eine Rede der “Deutsch-Israelischen Gesellschaft” (DIG) durch den Anmelder gestört, der sich in den Lautsprecherwagen begab, um die Sprecherin mehrfach zu unterbrechen. Der Aktivist drohte zudem mit seinem sofortigen Abgang, wenn das Vorzeigegesicht der deutschen BDS-Bewegung, das zur Aktion den symbolischen Kufija trug, nicht an seiner Demonstration teilnehmen könne.

Der Anmelder setzt sich eigentlich für die Städtefreundschaft mit dem geschundenen Afrin ein. Am vergangenen Donnerstag engagierte er sich allerdings für den namhaften Antisemiten, der unter anderem einem Querfront-Blättchen, das den Namen “Neue Rheinische Zeitung” benutzt, ein Interview gab: nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima und nach dem Unfalltod von Jörg Haider munkelte diese Netzpublikation von israelischen Verantwortlichen, was verschwörungsideologische Topoi ihres Antisemitismus sind.

Die Mehrheit der Demonstrant_innen dürfte von dem Vorfall um die DIG-Rednerin und von der Forderung des Anmelders indes nichts erfahren haben: sie wurden nach der Unterbrechung mit Tracks von “Irie Révoltés”, “Danger Dan” und “Green Day” beschallt, wobei vor allem grün-gelb-rote YPG-Winkelemente wehten. Die politische Erpressung des Anmelders funktionierte unterdessen. Glanz und andere Antisemit_innen aus der BDS-Struktur beteiligten sich zumindest zum Beginn an dem Trauermarsch, der die Demonstrant_innen durch das dunkle Oldenburg führte.

Unter diesen Marschierenden befand sich der BDS-Barde Hassan Vivo, der auf seiner Facebook-Seite diverse Mordphantasien gegen Jüdinnen und Juden verbreitet. Dort teilt er zum Beispiel die Hetze des PFLP-Schlächters Ghassan Kanafani, der als Teil der PFLP-Auslandsorganisation 1972 das Lod Airport Massaker orchestrierte, bei dem 26 Menschen ermordet und Dutzende verletzt wurden. Als Sänger von “Seitun” trat Vivo, mit weiteren Feinden des Judenstaates, auf zwei BDS-Veranstaltungen in der Region auf, wobei es mehrfach zu Relativierungen der Shoa kam.

BDS-Barde mit Band (Wilhelmshaven, 27. Mai 2018)

BDS-Barde mit Band (Wilhelmshaven, 27.05.2018)

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Organisator_innen und ihre Unterstützer_innen zukünftig verhalten. Bislang blieb die öffentliche Distanzierung zur antisemitischen Boykott-Bande leider aus. Eine gewisse Nähe bestand ganz offensichtlich bereits zuvor. Dass die Verantwortlichen um den Anmelder die geschilderten Vorfälle aufarbeiten, ist daher sehr unwahrscheinlich.

Vielleicht verschweigt der mittlerweile erschienene Bericht in  der links-alternativen “Oldenburger Rundschau”, die in der Vergangenheit “eine Kritik an der israelischen Politik trotz Auschwitz” einforderte, die geschilderten Geschehnisse genau aus diesem Grund. Immerhin löschte “Aufstehen” ihre krude Fotomontage. Auf ihrer Internetseite findet sich nun Werbung für eine Aktion von Landwirt_innen.

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