Tag Archive: Kommunismus

Spaltung einer Abspaltung

Als sich die recht junge „Kommunistische Organisation“ (KO) zum Jahresende zerstritt, entstanden zwei Organisationen gleichen Namens, die sich als rechtmäßige Nachfolge des vorherigen Vereins begreifen. So folgte die K-Gruppe, die ihrerseits als Abspaltung der „Sozialistischen Deutschen Arbeiter Jugend“ (SDAJ) und der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) entstand, ähnlichen Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene. Schließlich balgten sich stalinistische Strukturen, als sich ein Teil um die „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ (KPRF) für das Putin-Regime und dessen Angriffskrieg aussprach, während ein anderer Pol um die „Kommunistische Partei Griechenland“ (KKE) einen imperialistischen Konflikt zwischen Russland und den USA in der Ukraine ausgemacht haben wollte.

Debatte um Despoten

Der russische Angriffskrieg sorgte nicht nur zwischen mehr oder weniger bedeutenden Linksparteien für Streit. So kam es innerhalb der „Kommunistischen Organisation“, die für die erhoffte „Parteigründung“ einen „Klärungsprozess“ als „Hauptwaffe“  einsetzt, zu „Spannungen“. Innerhalb des Leitungsgremiums entwickelte sich eine „regelrechte Krise“, in der sich zwei Fraktionen – zunächst noch intern – mit dem Revisionismus-Vorwurf bekämpften. Es ginge um nicht mehr oder weniger als um das „Eindringen bürgerlicher Ideologie in die Weltanschauung des Proletariats“, klagte eine Gruppe von „Marxisten-Leninisten“ über das Verhalten ihrer „revisionistischen Führer“, die der „Zersetzung“ bezichtigt wurden.

Die angesprochenen Anführer reagierten öffentlich. Sie verkündeten eine gleichlautende Anklage, kaperten zudem die Internetseite der Vereinigung und drohten Ausschlussverfahren an. Die Wortführenden der feindlichen Fraktion hätten die „Zersetzung auf ein noch höheres Level getrieben“. Tatsächlich hatte sich die „Kommunistische Organisation“ unter ihrer Führung und in den vorherigen Monaten noch weiter von idealistischen Imperialismus-Analysen eines Lenins entfernt. Vor der jetzigen „Schlammschlacht“ propagierte die stalinistische Struktur stattdessen das putinistische Konstrukt einer „unipolaren Weltordnung“, wobei der Hauptfeind – in anti-amerikanischer Tradition – klar markiert wurde.

Wer sich durch Ausführungen der „Kommunistischen Organisation“ aus dem Vorjahr quält, kann wie manches Mitglied auf den Gedanken kommen, dass „die USA und das imperialistische Weltsystem in eins fallen“. Ob außer den Vereinigten Staaten, an dessen „Sternenbanner“ tatsächlich das Schicksal des Proletariats hängt, noch „weitere imperialistische Länder“ wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland existieren, beantworten diese Pamphlete nicht. Dass die „nationalistischen Positionen“ sowie ein dazugehöriges Eintreten für die Klassenversöhnung gegen den äußeren Feind für innerorganisatorische Kritik sorgten, konnte die Vereinigung lange Zeit dennoch als Interna behandeln.

Beitrag eines Islamisten

Die den Aggressoren und seinen Krieg rechtfertigende Mehrheit der „Zentralleitung“ setzte sich im Vorjahr mit dem Mittel der „Kampfabstimmung“ durch, was zu öffentlichen Stellungnahmen der Gesamtorganisation führte, in der es um eine Parteinahme für Putin und eine Solidarisierung mit dessen mörderischer “Spezialoperation” ging. Weitere Positionierungen reproduzierten plumpen Rassismus gegen Menschen, die vor den Attacken der russischen Armee und ihrer Handlanger flohen. Flüchtlinge aus der Ukraine würden in Deutschland „regelrecht hofiert“, log die sich kommunistisch nennende Organisation“.

Unzufriedene Mitglieder der stalinistischen Struktur unterwarfen sich auch in diesem Falle den verhängnisvollen Mechanismen des „demokratischen Zentralismus“ – und schwiegen zu solchen Positionierungen. Ende des Jahres kam es schließlich zu den harschen Auseinandersetzungen, die nun in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Zu Recht beklagte die nur in diesem Punkt sympathischere Fraktion, wie zuvor „rechte Positionen eingenommen“ wurden. So wies der Flügel auf den Podcast der Gruppe hin, in dessen erster Episode ein Mitglied der sich auf die Kim-Dynastie beziehenden „Kommunistischen Partei Deutschland“ (KPD) „nicht vom deutschen Imperialismus sprechen“ wollte, weil es „nur die USA und ihre Satelliten“ geben würde.

Ein weiterer Auslöser des Konflikts war die Veröffentlichung eines Beitrags, den der Islamfaschist Bernhard Falk (aka: Muntasir bi-llah), der wegen vierfachen versuchten Mordes und Sprengstoffverbrechen zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, für die Gruppierung verfasste, nachdem er einem weiteren Podcast der Struktur lauschte. In seinem „Diskussionsbeitrag“, der von der Organisation mit einem wohlmeinenden Vorwort versehen wurde, reproduziert Falk zahlreiche Versatzstücke eines völkischen „Anti-Imperialismus“. Der Terror-Apologet rief in seinem Pamphlet zur „Verteidigung des jeweiligen Kulturkreises“ (sic) auf, während er zugleich über den „Individualismus“ (sic!) der „‘verwestlichten‘ Gesellschaft“ (sic!) jammerte.

Hetze gegen Israel

Falk fabulierte für die „Kommunistische Organisation“ von einer „Solidarität mit der Russischen Föderation und ihrem Präsidenten“. Er positionierte sich für Putin – und gegen Materialisten wie Marx. Derartige Personen würden, so das Urteil des salafistischen Apologeten, „allzu holzschnittartige Vorstellungen von der menschlichen Geschichte als der Geschichte von Klassenkämpfen“ besitzen. Zum Abschluss verstieg sich der deutsche Idealist, der als Querfrontler praktiziert, in eine:

„vorzügliche Hochachtung gegenüber allen Menschen (…), die in treuer Pflichterfüllung – Tag für Tag, von Stunde zu Stunde – der Russischen Föderation dienen“.

Die Veröffentlichung des Hetzbeitrags von Bernhard Falk, der mit dem vormaligen syrischen Al-Qaida-Ableger „Dschabhat Fath asch-Scham“ kollaboriert, war der sprichwörtliche Tropfen, der das organisatorische Fass überlaufen ließ. Dass sich die Gruppierung zuvor mit der antisemitischen „BDS“Kampagne solidarisierte, erregte indes über Jahre keine Kritik. Diese blieb schon 2018 aus, als ein KO-Mitglied über eine „nachhaltige Kampagne“ für Israel fabulierte, für die es „zwei gesellschaftliche Träger“ identifizierte. Akteur der angeblichen Konspiration sei einerseits „die so genannte Neue Rechte“, anderseits würde „die so genannte antinationale Bewegung“ eine „geistige Mobilmachung“ (sic!) für Israel betreiben.

Solche verschwörungsideologischen Ausfälle, die nur eines von vielen Beispielen für die vollkommene Abstinenz materialistischer Gesellschaftskritik in dem linksdeutschen Zirkel ist, war für die Fraktion, welche zum Jahresende verspätet die Publikation des Bernhard Falk thematisierte, kein Anlass zur Spaltung. In den langen Erklärungen der Streitenden findet sich überhaupt keine Selbstkritik, die den Israelhass der vorherigen Jahre reflektiert. Dass die “Kommunistische Organisation” in vielen Wortmeldungen zahlreiche Topoi des postnazistischen Antisemitismus reproduzierte, indem sie mit Tiraden zum „kolonialistischen Charakter des Zionismus“ den „Versuch der Juden, den Kommunismus lebend zu erreichen“ denunzierte, erwähnen die Spaltungsschriften also nicht.

Weiter im Wahn

Die Aufarbeitung des israelbezogenen Antisemitismus blieb von Seiten beider Fraktionen aus. Stattdessen folgte hektischer Aktionismus in Form von mobilisierenden Pamphleten für parallel stattfindende Kongresse, in denen sich die Kontrahierenden als eigenständige Vereine konstituierten. Nun machen zwei namensgleiche Organisationen, deren Internetseiten optisch und inhaltlich kaum zu unterscheiden sind, der großen Idee der kommunistischen Assoziation keine Ehre. Aus einer K-Gruppe, die sich nach Mitgliedsangaben „wie eine Politsekte präsentiert“, wurden zwei Zirkel, die einen ähnlichen Eindruck machen.

Wenn es nicht um die Parteinahme für Putin geht, betreiben beide Strukturen weiterhin eine inhaltsgleiche Politik. Als nach dem Jahreswechsel etwa zehntausend Menschen im Gedenken oder in der Vereinnahmung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin zusammenkamen, traten beide Fraktionen eigenständig als „Kommunistische Organisation“ auf, wobei sich die Kontrahierenden auch bei ihrem analogen Auftritt inhaltlich, optisch und akustisch kaum unterschieden. „Mali, Donbass, Gaza-Stadt – macht den Westen endlich platt“, skandierte der putinistische Flügel zur Abgrenzung.

Die „Marxisten-Leninisten“ erklärten zeitlich, dass sie sich in Marxomagie versuchen wollen. Mit ihrem Flugblatt wurde verkündet, dass die echte “Organisation” an einer Rezeptur arbeiten würde, welche den „Kampf um den Sozialismus in allen kapitalistischen Ländern auf die Tagesordnung“ setzen soll. Bis es soweit ist, bleibt es bei der altbekannten Hetze gegen Israel, wobei es um dessen Abschaffung geht. In einer weiteren Erklärung, die im Januar erschien, träumten sie erneut von einem „Palästina“, das  „vom Jordan bis zum Mittelmeer“ reichen soll.

Währenddessen begeistert sich die andere „Kommunistische Organisation“ ebenfalls für den mörderischen Terror antisemitischer Banden, die aus Gaza-Stadt operieren. Der Versuch, möglichst viele Jüdinnen zu ermorden, macht diese Fortführung zum Teil eines  „Widerstands“, den angebliche „Völker gegen“ die gleichfalls imaginierte „westliche Vorherrschaft“ führen. Es ist nicht davon auszugehen, dass derartige Positionierungen weiteren Streit zwischen den Spaltprodukten erzeugen, weil der Hass auf Israel weiterhin ein gemeinsamer Nenner der fortan getrennt auftretenden Fraktionen bleibt.

Komisch wirkende Bedrohungen

Beide Gruppen, die den Namen „Kommunistische Organisation“ usurpieren, machen mit einem guten Label eine denkbar schlechte Politik. Menschen, die an der „wirklichen Bewegung“ zur Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise interessiert sind, sollten solchen Sekten, die sich mit Marx dem deutsch-reaktionären Sozialismus zuordnen lassen, mit den richtigen Mitteln begegnen. Aufgrund ihrer vollkommenen „Unfähigkeit, den Gang der Geschichte zu begreifen“ sind derartige K-Gruppen zwar „stets komisch wirkend“, mit ihrem Antisemitismus und Anti-Amerikanismus aber auch eine reale Gefahr, die passender Antworten bedarf.

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Kleinstadthölle (2017)

Wolfgang Gehrcke, im Jahr 2017 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Vorstand der sogenannten Linkspartei, empörte sich bei seiner damaligen Lesung in Oldenburg über eine Flugschrift, die Kritik seines israelbezogenen Antisemitismus mit einer Parole gegen Deutschland verband.

Der komplette Auftritt des sozialdemokratischen Verschwörungsgläubigen findet sich auch Mitte 2021 auf der ungepflegten YouTube-Seite des Kreisverbands für Oldenburg und das Ammerland. Dass dort bis heute zu sehen ist, wie der verschwörungsideologische Stichwortgeber minutenlang die antisemitische BDS-Bewegung verteidigt, ist dieser politischen Struktur zu verdanken. Offenbar möchte “Die Linke” aus meiner deutschen Kleinstadthölle weiterhin mit solchen Inhalten auf YouTube werben.

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Eine typisch deutsche Argumentation

“12. Dezember. Cincinnati.

Soeben bin ich von einer typischen von deutschen Genossen organisierten Versammlung zurückgekehrt. Der große Saal war gestopft voll. Kein Wunder auch, hatten doch die Sozialisten eine ‘deutsche Versammlung’ angekündigt, ohne zu sagen, dass eine Russin sprechen würde, noch dazu eine internationalistisch eingestellte Sozialistin! Alle möglichen Leute waren gekommen, eine Menge Spießer, brave deutsche Bürger. Auf ein paar Hundert kamen ein, zwei Dutzend Frauen.

Nach der Versammlung ist alles ganz anders als bei den amerikanischen Kundgebungen. Dort kommt man zu mir, sagt mir in herzlichem Ton: ‘Eine glänzende Rede. Gerade das haben wir uns gewünscht: mehr revolutionären Geist in der Bewegung’. Gewöhnlich kommen Proletarier mit sympathischen, ehrlichen Gesichtern; sie schimpfen auf die führenden Leute, sind voller Enthusiasmus und Glauben an die Massenbewegung

‘Die amerikanischen Arbeiter vermögen keine Opfer zu bringen’, beklagen sich die Deutschen über sie. ‘Da haben sie gerade erst eine Gewerkschaft organisiert, doch statt zunächst durch ordentliche Beitragszahlungen die Kasse zu stärken, zetteln sie gleich einen Streik an.’

Eine typisch deutsche Argumentation: Die Organisation ist Selbstzweck.”

Alexandra Kollontai: Aus dem amerikanischen Tagebuch 1915

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Der Zeitreisende und ein Kommunist

Als sich am 1. November 2019 der vierzigste Todestag des britischen TV-Autors Malcolm Hulke näherte, erinnerte der britisch-linke “Morning Star” an den vor Jahrzehnten verstorbenen Kommunisten. Obwohl der englische Linke in den 1970er Jahren ein gefragter Autor von für die Popkultur bedeutsamen TV-Produktionen war, blieben die Nachrufe hierzulande aus. Dass das langjährige Mitglied der “Kommunistischen Partei Großbritannien”  für die BBC-Serie “Doctor Who” schrieb, ist in Deutschland kaum bekannt.

Von den Avengers zum Zeitreisenden

Malcolm Hulke sammelte am Theater erste Erfahrungen in der Kulturindustrie. Nach einer Produzententätigkeit verfasste der Kommunist in Folgejahren unter anderem Drehbücher für neun Folgen des TV-Hits “The Avengers”. Mit solchen Arbeiten trug Hulke, der zuvor und wohl auch zeitgleich kommunistische Inhalte verfasste, zum damaligen Erfolg des schwarz-weißen TV-Klassikers bei, der nach seiner Eindeutschung als “Mit Schirm, Scharm und Melone” in Westdeutschland versendet wurde. 

Zuvor schrieb der Autor zwei Drehbücher, die als Vorlage für die Spielfilme “Life In Danger” (1959) und “The Man In The Back Seat” (1961) dienten. Zudem wandte sich Hulke phantastischeren Themen zu. Durch “Target Luna” erregte er das Interesse eines BBC-Verantwortlichen. In den folgenden Jahren schrieb Hulke mehrere Handlungsstränge für “Doctor Who”. Insgesamt 54 Episoden, die in Deutschland erst mit einiger Verspätung erschienen, entstanden auf Basis der Drehbücher des englischen Linken.

Diese Arbeiten verliehen der Hauptfigur, dem zeitreisenden Alien vom Planeten Gallifrey, weitaus mehr Tiefe. Zwischen 1967 und 1974 war Malcolm Hulke als Autor an der Science-Fiction Serie beteiligt. Heute können Interessierte, trotz einigen Schwundes anderer Folgen, den Großteil der Episoden, die dieser Autor schrieb, mit wenigen Mausklicks abrufenAuf DVD, Blu-ray oder per Stream gibt es die Folgen mit Patrick Troughton, der die Hauptfigur zwischen 1966 und 1969 spielte, und mit seinem Nachfolger Jon Pertwee, der zwischen 1970 und 1974 den humanistischen Time Lord in der dritten Inkarnation verkörperte, zu sehen.

Manches aus den meist Episoden der britischen TV-Vergangenheit wirkt erstaunlich aktuell. Gerade in den Pertwee-Jahren, die Malcolm Hulke mit seinen Drehbüchern entscheidend prägte, befasst sich die Serie, die oftmals als Produkt für Heranwachsende verunglimpft oder missverstanden wurde, mit universellen Themen, die in kapitalistischen Verhältnissen zeitlos erscheinen. 

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Zeitlosigkeit eines Zeitreisenden

Als die Verantwortlichen bei der BBC dem Charakter, einem uralten Außerirdischen mit  Zeitmaschine, ein Erden-Exil in den 1970er Jahre verpassten, konnte die Hauptfigur in den Pertwee-Jahren zeithistorische Ereignisse mit besonderem Sarkasmus, beißender Ironie oder stoischem Zynismus kommentieren. Dass die Schreibenden der Serie tagesaktuelle Themen wie Streiks und Aussperrungen aufgriffen, sorgte für ungewohnte Parteilichkeit der Hauptfigur, die mit Sicherheit zur Popularität des britischen Straßenfegers beitrug. Die antiautoritäre Praxis dieser Hauptfigur, die Anweisungen des britischen “United Nations Intelligence Taskforce” (UNIT) Offiziers, des Brigadiers, dauerhaft ignoriert, wurde auch dank der Mitwirkung von Hulke dauerhafter Bestandteil des Protagonisten. 

Damalige Mehrteiler, die wie der “The Green Death”-Handlungsbogen katastrophale Resultate kapitalistischer Akkumulationsprozesse durch Umweltverschmutzung thematisieren, scheinen auch in der Gegenwart erstaunlich aktuell. Das gilt auch für Episoden, die sich mit faschistischen Herrschaftsformen befassen. Mit dem “Inferno”-Sechsteiler kreierten damalige Verantwortliche einen Handlungsbogen, der auf einer faschistischen Parallelerde angesiedelt ist, deren Regimes mit unverantwortlichen Experimenten die ohnehin tote Erde bedrohte. 

Diese Folgen erschienen in Zeiten, als sich der britische Faschismus erneut an einem seiner Comebacks versuchte, wobei der Sechsteiler als deutliche Kritik an den drohenden Resultaten faschistischer Praxis zu verstehen ist. Sie erinnern an einen anderen Science- Fiction Klassiker: In der vierten Folge der ersten Star Trek Serie, der Episode “Mirror, Mirror”, verschlägt es Captain Kirk und seinen Landetrupp gleichfalls in ein faschistisches Paralleluniversum.  

Auch in den Episoden des “Frontier in Space”Handlungsbogens erleben Zuschauende eine dem Weltraumcaptain nicht unähnliche Figur. Sie sehen einen kämpferischen Doctor, der sich gegen das jeweilige Unrecht erhebt, das ihn auf Erden oder im Weltraum begegnet. Dass es der Zeitreisende, mehr als drei Jahrzehnte vor Grant und Sattler im ersten “Jurassic Park”, mit Dinosauriern aufnahm, sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt. Was wie eine Vorwegnahme heutiger Kinoproduktionen wirkt, ist dem linken Science-Fiction Autoren zu verdanken.

Vom Aktivismus zur Schreibmaschine

Es waren sich der politischen Linken zugehörig fühlende Schreibende, die zur Besonderheit der bereits damals sehr populären BBC-Serie beitrugen. Das beste Beispiel für solche Personen ist Malcolm Hulke. Als Mitglied der von Strömungskämpfen gebeutelten “Young Communist League” (YCL) organisierte sich der schreibende Kommunist schon in jungen Jahren.  Zum Ende des Zweiten Weltkriegs nahm ihn die “Communist Party of Great Britain” (CPGB) in ihre Reihen auf. 

“Als junger Mann verwarf er seinen jüdischen Glauben, wenn auch nicht die jüdische Kultur – und trat der Kommunistischen Partei bei.” Der aktivistische Linke beteiligte sich unter anderem an Besetzungen von Hotels. Mit solchen Aktionen wollten kommunistische Kader in London den Einzug von Wohnungslosen erzwingen. Dass diese Menschen ihre Wohnungen durch die deutschen Bomben verloren, ehrt den frühen Aktivismus des späteren TV-Autoren auch posthum.

Zeit seines Lebens blieb Hulke offenbar der politischen Linken zugehörig. Fest steht, dass er seinem kommunistischen Zirkel bis 1964 angehörte. Mit Sicherheit trug die linke Positionierung des Malcolm Hulke dazu bei, dass viele “Doctor Who”-Episoden der späten 1960er und frühen 1970er Jahre auch heute sehr sehenswert sind. Antifaschistische Mindeststandards sowie antiautoritäre Praxen zeichnen einige Handlungsbögen aus, die zwischen 1969 und 1974 erschienen. Für viele Folgen war der Drehbuchautor direkt verantwortlich.

Im sechsteiligen “Invasion of the Dinosaurs”Handlungsbogen, den Hulke zum Abschluss der dritten Doctor-Verkörperung schrieb, ist ein militaristischer Kriegstreiber der eigentliche Gegner der heroischen Hauptfigur. Im zehnteiligen “The War Games”Handlungsbogen, den Hulke als erstes für “Doctor Who” verfasste, geht es mit War Lords um entsprechende Despoten. Dass solche Menschenfeinde die Produkte irrationaler Verhältnisse sind, machen die Episoden von Malcolm Hulke deutlich.

Überwachung eines Drehbuchautoren

Die Positionierung des “Doctor Who”-Autoren war viele Jahrzehnte nur wenigen Personen bekannt. Zu den Eingeweihten gehörten einige seiner Genoss_innen. Eifrige Angehörige des Geheimdienstes MI5, der unter Druck erst Jahrzehnte nach dem Tod des Drehbuchautoren einige der angesammelten Informationen veröffentlichte, befassten sich gleichfalls mit dem Autoren. Dass seine Briefe gelesen und Telefonate abgehört wurden, sorgte für den großen Datensatz, von dem Hulke nicht mehr erfuhr. Weiteres Aktenmaterial entstand, weil Mitarbeiter von Polizei und Geheimdienst nach direkten Kontakten mit dem TV-Autoren über Jahre Abschriften der Gespräche verfassten. 

Seine Akte, die seit 2014 zumindest in Teilen für die Öffentlichkeit zugänglich ist, umfasst ein Bewerbungsschreiben, mit dem Hulke seine “Communist Party of Great Britain” (CPGB) im Jahr 1947 um einen Job bat. Der Geheimdienst hielt auch fest, dass die Partei ihr Mitglied in den Folgejahren als Schreibkraft beschäftigte, wobei Anrufe aus dem Hauptquartier der stalinistischen Struktur ebenfalls durch die Schnüffelnden der antikommunistischen Agentur dokumentiert wurden.   

Dass sich der MI5 auch in späteren Jahrzehnten mit der publizistischen Tätigkeit des überwachten Kommunisten befasste, mag manche Lesende – angesichts des antikommunistischen Furors in bürgerlichen Klassenstaaten – nicht überraschen. Die aus diesem Grund existierende Akte umfasst unter anderem Analysen von Stücken, die Hulke  im CPGB-Blatt “Daily Worker” und im linksliberalen “The Guardian” unterbrachte. Sie dokumentiert auch, wie der britische Linke ab Ende der 1950er Jahre als Drehbuchautor für TV-Serien und Kinofilme einer monetär sowie ideell recht befriedigenden Form der Lohnarbeit nachging.

Der zugängliche Teil der Geheimdienstakte erstreckt sich bis ins Jahr 1964. Damals war Malcolm Hulke bereits erfolgreich für das ITV-Network sowie die Konkurrenz von der British Broadcasting Company (BBC) tätig. Die Überwachenden hielten den Autoren für einen “gefährlichen Mann”, der seine “kommunistischen Perspektiven ohne Skrupel” vertreten würde. 

Tatsächlich gab es für den Überwachten aber gute Gründe, die ihn zum Parteieintritt bewegten. Der 1924 geborene Hulke berichtet im Rückblick, dass er sich im Kontakt mit Angehörigen der Roten Armee politisierte. Außerdem identifizierte sich der britische Soldat mit den sowjetischen Siegen über den NS-Mordapparat. “Weil die Rote Armee gerade die Deutschen zurückgedrängt hatte”, begründete der Autor im Nachhinein seinen Parteieintritt.

Der Entschluss zur Mitgliedschaft und für den Kommunismus sei “mehr ein emotionaler Ausdruck denn eine logische Schlussfolgerung” gewesen. Dass Hulke, der am D-Day an der militärischen Zerschlagung der deutschen Streitkräfte teilnahm und später ein Programm zur Entnazifizierung in Kiel leitete, sich nicht immer mit den willkürlichen Parteilinien des orthodoxen Marxismus zufrieden gab, dürfte einer der Gründe für Differenzen und Auseinandersetzungen in und mit seiner Communist Party darstellen.  

Von der Zukunftsproduktion und dem Tod

Der MI5 verweigert seit 2014 den Zugang zu den Teilen der Akte, die spätere Jahre der Überwachung umfasst. Die Zeiten, in denen der Kommunist zum Erfolg von “Doctor Who” beitrug, bleiben weiterhin unter Verschluss. So bleibt die Frage offen, ob sich die Agent_innen des Geheimdienstes auch nach 1964 mit den Drehbüchern über die Abenteuer des Zeitreisenden befassten, wobei die baldige Mitarbeit an der Serie schon zuvor festgehalten wurde. Darüber berichtete nicht nur der “Morning Star”, sondern auch das “Doctor Who Magazine”

Über “Doctor Who” sprach Hulke auch nach dem Ende seiner Mitarbeit, wobei er die zeitlose Bedeutung der TV-Serie hervorhob. Sie würde durch die Darstellung von Beziehungen gesellschaftlicher Gruppen politische Tiefe entwickeln. Alle “Doctor Who”-Episoden enthalten derartige Darstellung, “selbst wenn eine andere Gruppe von Leuten aus Reptilien besteht”, so der Autor, der am 6. Juli 1979 verstarb, im Rückblick. 

Als überzeugter Atheist sorgte der Verstorbene vorab dafür, dass es bei seiner Beisetzung  weder einen Priester noch Gebete gab. Inwieweit die Agent_innen des MI5 das Begräbnis dokumentierten, ist nicht bekannt. Heutige “Doctor Who”-Fans, gerade in deutschen Gefilden, wissen meist wenig über den englischen Autor, der nicht nur mit seinen Drehbüchern zur zeitlosen Bedeutung des Science-Fiction-Produktes beitrug.

Schließlich schrieb Hulke sieben “Doctor Who”-Romane. Außerdem verfasste er mit seinem Freund, dem eng mit der Serie verbundenen Terrance Dicks das Standartwerk “The Making of Doctor Who”. Er musste ein “professioneller Autor” werden, sagte Hulke rückblickend: “Ich hatte keine echten Qualifizierungen, um irgendetwas anderes zu sein.”

Ein Gespenst geht um im Fernseher

Mit seinen “Doctor Who”-Drehbüchern inspirierte Malcolm Hulke zahlreiche Autoren, die nach seinem Tod für die BBC-Serie schrieben. Deutliche Reverenzen an die Ideale des Drehbuchautoren, einer emanzipativen Umgestaltung der kapitalistischen Zustände, gab es vor allem 1989. Zum temporären Ende der Serie bedienten sich die Nachfolgenden visueller Mittel und kleiner Dialoge, wobei es in Augenblicken um den Wert der Solidarität und die Macht des kommunistischen Aufhebungsversprechens ging.  

Dass die zum Ende der 1980er Jahre von Sylvester McCoy verkörperte Hauptfigur und seine feministische Begleitung Ace, an deren Kleidung in aller Deutlichkeit ein roter Sowjetstern mit Hammer und Sichel prangte, von der BBC abgesetzt wurde, lag vielleicht nicht nur an der stetig sinkenden Einschaltquote, sondern auch an solchen Momenten. Dieses zeitweilige Ende, das mit dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Bürokratien sowjetischer Prägung einherging, erlebte Malcolm Hulke nicht mehr. Zehn Jahre nach dem Tod des Kommunisten verschwand der Doctor zeitweilig vom Bildschirm.

Die Science-Fiction-Figur, an deren echter Herausbildung ein kommunistischer Autor maßgeblichen Anteil besitzt, fristete ihr Dasein nur temporär ausschließlich in Comics, Romanen oder Hörspielen. Ein Spielfilm, der als Auftakt zu einer Serie floppte, blieb Episode. Doch die BBC führt die Abenteuer des Zeitreisenden seit 2005 erneut als TV-Produkt fort. Dass die Figur in einer deutlichen Tradition zu vorherigen Inkarnationen wie dem dritten Doctor steht, zeigt sich in vielen Episoden neueren Produktionsdatums. 

Fortführung der Traditionslinien

Auf den Spuren seiner Vorgänger kämpfte der mittlerweile elfte Doctor nicht nur gegen Aliens wie die Daleks, sondern auch gegen deutsche Nationalsozialisten. Als es den Zeitreisenden in das Berlin von 1938 verschlug, spürte der “Führer” in der “Let’s Kill Hitler”Episode direkte Folgen. Die Thematisierung von Rassismus, von Homophobie oder von Sexismen findet sich vor allem in neueren Episoden, wobei ein weiterer Höhepunkt in einer holprigen Entwicklungsgeschichte mit der aktuellen Ausformung des Zeitreisenden erreicht wurde.

In Paris beantwortet der dreizehnte Doctor, der endlich als Frau inkarnierte, eine entsprechende Frage. “Niemals”, betont die aktuelle Hauptfigur, die an die Tradition der dritten Verkörperung anknüpft, zur Beruhigung einer Resistance-Kämpferin, welche den dauerhaften Sieg des Nationalsozialismus fürchtet. Über solche Dialoge, die an die geschilderten Vorarbeiten von linken Drehbuchautoren wie Malcolm Hulke anknüpfen, hätte sich dieser Schreibende bestimmt gefreut.

Aufgrund seines Todes entging dem Autor aber nicht nur die aktuelle Fortführung der Science-Fiction-Serie, sondern auch der Niedergang und die Implosion der von seiner Partei idealisierten Sowjetunion. Außerdem erfuhr Hulke nichts über den Grad der Überwachung durch den antikommunistischen Staat, deren Ausmaß auch zum Ende des Jahres 2020 nur in Auszügen bekannt ist. 

Mehr zum Thema: Nachdem Darstellerin Katy Manning mit ihren Erinnerungen an den Drehbuchautor einleitet, spricht Michael Herbert in einem Onlinetalk der “Working Class Movement Library” über den Autor. “Doctor Who and the Communist: the writing and politics of Malcolm Hulke” ist auf YouTube zu sehen. Das gleichnamige Buch ist leider nicht in Deutschland erschienen. Dafür gibt es im Netz einen weitaus umfassenderen Beitrag des Experten.

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Fast wie in Kabul

“Frau J” liebt ihre “GUTMENSCHEN Tochter”. Die Gefühle sind so groß, dass die AfD-Wählerin auf Twitter regelmäßig über die namenlose Heranwachsende berichtet. Nach einem Besuch in Oldenburg erzählt dieser Nachwuchs angeblich, dass diese Stadt “nur aus Knack…en” besteht: “das muß schlimm sein”, munkelt “Frau J”, während sie ihren Hass im Netz erbricht.

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