“No Döner on a dead Planet”. Das besagt eine Verkündigung der Endzeit-Sekte “Extinction Rebellion”. In Oldenburg verklebten Mitglieder der Gruppierung, die sich zu Beginn der Pandemie an angeblicher “Panik” ihrer Mitmenschen erfreute, ihre Losung über bereits angerissenes Plakat. Das zeigte die Köpfe der Menschen, die ein Nazi in Hanau ermordete, wofür sich die plakatierenden Akteure der Struktur offensichtlich nicht interessierten.
Das ehemalige “Gaumusterdorf” Dötlingen ist ein Beispiel für postnazistische Verhältnisse in Norddeutschland. Symbole aus den Zeiten des Nationalsozialismus finden sich auch heute auf den alten Gebäuden, die rechte Reisende noch im neuen Jahrtausend bewundern. In der Gemeinde stellte die NS-Nachfolgepartei NPD nach der CDU und über Jahre die zweitstärkste Fraktion im Gemeinderat. In diesem Jahrtausend nutzen Nazi-Banden das bei Oldenburg gelegene Dorf, das die eigene Vergangenheit weitgehend verdrängt, als Kulisse für rechten Aktionismus.
Braunes Idyll im Grünen
Mit dem Jahr 1933 kam nicht nur die Machtübergabe an die NSDAP. Schließlich entstand damals die geografische Einheit namens Dötlingen. In der neu gebildeten Gemeinde lebten zu diesen Zeiten rund 6.000 Personen. Drei Jahre später ernannten die Nazis das Gebiet zum „Gaumusterdorf“. Dötlingen diente bereits zuvor als Drehort für NS-Heimatfilme. Im April 1934 wurde im Örtchen bei Oldenburg die letzte Szene eines völkischen Machwerkes gefilmt.
Im NS-Streifen „Das alte Recht“ geht es um den deutschen Bauern, seine Ehefrau und die Scholle. In der Blut- und Boden-Schmonzette traten Darsteller auf, die in weiteren Propagandafilmen zur Legitimierung der antisemitischen Vernichtungspraxis beitrugen. So stellte sich Schauspieler Bernhard Goetzke ebenso wie Komponist Wolfang Zeller für das filmische Verbrechen „Jud Süß“ zur Verfügung.
In „Das alte Recht“ sind derweil auch Laiendarsteller aus der Region sowie Statist_innen aus der Gemeinde zu sehen. „Wir treffen viele gute Bekannte in unserem Heimatfilm“, bemerkten die Oldenburger „Nachrichten“ daher nach der Premiere. Schließlich waren regional bekannte Darsteller wie Fritz Hoopts zuvor als Laienschauspieler an der Niederdeutschen Bühne Oldenburg aktiv.
Carl Röver, der damalige Gauleiter im Freistaat Oldenburg, begeisterte sich bei der Uraufführung für den völkischen Streifen. Der fanatische Nationalsozialist lobte den „Geist der unauflösbaren Verbundenheit von Blut und Boden, der so eindringlich aus dem Film spricht“. Dötlingen sei „ein Gebiet von seltener Schönheit und großen Reizen“, hieß es derweil im nationalsozialistischen „Filmkurier“.
Wallfahrtsort für Völkische
Dieses Dötlingen profitierte damals von rechten Reisenden, die gerne durch die NS-Kulisse flanierten. Die bäuerliche Ansiedlung im Grünen wurde von NS-Kadern und sympathisierenden Kameradschaften aus dem Ausland besucht. Solche Gestalten erfreuten sich an der bis heute vorherrschenden völkischen Ästhetik, die aus uralten Eichen, nationalsozialistischen Symbolen und übergroßen Findlingen entsteht.
Besuchende bewunderten bereits damals einen gewaltigen Brocken, den die Bewohnenden 1933, zur Feier des an die Macht gelangten „Führers“, auf dem zur Gemeinde gehörenden Gierenberg weihten. Ihr Stein zierte ein großes Hakenkreuz und eine Rune. Letztere ist noch heute auf dem Brocken zu erkennen, den die Gemeinde mit einem Hinweisschild bewirbt.
Angehörige der „Hitler-Jugend“ erhielten am Fuße des Berges im Püttenhus ideologische Schulungen. Es waren die Einheiten der Alliierten, die den deutschen Spuk zu Dötlingen beendeten. Das Hakenkreuz wurde entfernt und der Stein auf die Seite gelegt. Andere Symbole blieben ebenso wie die Runen am HJ-Schulungsheim erhalten. Dass sich rechte Besuchende bis in dieses Jahrtausend für Dötlingen begeistern, scheint die Gemeinde nicht zu stören. Schließlich verzichtet das deutsche Dorf auch im 21. Jahrhundert auf kritische Einordnungen, wobei Verantwortliche die braune Vergangenheit oftmals verschweigen.
Manchen Gebäuden fehlt jeder Hinweis auf die Vergangenheit. Das gilt zum Beispiel für das Rogge-Haus. Den gleichnamigen Bauern ermordeten Männer des „Freikorps Adolf Hitler“, nachdem sie den „Gegner des Nazisystems“ am 14. April 1945 und unter einem Vorwand in ihr Fahrzeug gelockt hatten, auf der Landstraße in Richtung des nächsten Kaffs. Seine Leiche ließen die Mörder liegen. Sie dekorierten den Körper des Willi Rogge dafür mit einem Schild: „Wer sein Volk verrät, stirbt“.
Dötlingens deutsche Kontinuitäten
Dötlingen blieb als Gemeinde auch in den folgenden Jahrzehnten eine rechte Hochburg. Dort kam es 1976 – so berichtete der “Arbeiterkampf” des Kommunistischen Bunds – offenbar zu einer erstaunlichen Kooperation. “Um doch noch den Bürgermeisterposten zu angeln”, bildeten “SPD und FDP eine Zählgemeinschaft” mit einem “NPD-Faschisten”, kritisierte das Blatt in Ausgabe 95 auf der achten Seite.
“Sie haben mit ihm eine Stimme Mehrheit”. Das Blatt vermutete: “Die Politik dürfte eben dieser Faschist bestimmen”. Lokale Erfolge der NPD, die in der Region weitgehend durch die AfD abgelöst wurde, gerieten in den folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit. Die neue Rechtspartei nutzte das „Gaumusterdorf“ ebenfalls als Bühne für ihre Veranstaltungen. Nazi-Gruppen wie die „Brigade 8 Bremen“kommen gleichfalls in die Gemeinde. Sie hinterlassen Kränze, die verstorbenen Nazis für die “Treue für’s Vaterland“ danken, während auf dazugehörigen Lichtern dem “Tatenruhm” der Toten gedacht wird.
Dötlingen verdrängt derweil weiter, sodass die Gemeinde bis heute nicht an den in den letzten Tagen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges ermordeten Willi Rogge erinnert. Erst seit 2009 gibt es eine Granitsteele, die diesen Nazi-Gegner einschließen soll, was Angehörige indes als ungenügend kritisieren. Es ginge um “alle zivilen” (sic!) “Opfer des NS-Regimes”, begründete der Heimatverein den Stein, der völkische Denkmäler ergänzt. “Wir waren der Meinung, dass es nunmehr – nach 60 Jahren – an der Zeit war , dieses Vorhaben anzupacken”, sagte die Vorsitzende zudem.
Ein Kriegerdenkmal findet sich direkt in der Nachbarschaft. Verharmlosende Hinweisschilder stehen derweil bei den in der Nähe zu findenden NS-Stätten. Das gilt nicht nur für den Nazi-Stein auf dem Gierenberg, sondern auch für das Püttenhus, an dem die genannten völkischen Symbole, für die sich ganz bestimmte Touristen begeistern, zu sehen sind. Ihre Begeisterung belegen Berichte, die solche Besuchende nach ihrem Abstecher ins ehemalige „Gaumusterdorf“ in ihren Weblogs für rechte Reiselustige verfassten.
Auf den Spuren ihrer Ahnen
Die im Zentrum rechter Eventkultur stehenden NS-Stätten interessieren auch andere Einrichtungen. So suchte beispielsweise das “Nordwestdeutsche Museum für IndustrieKultur” aus Delmenhorst nach Personen, die sich auf die “Spuren des einstigen ‘Reichsgaumusterdorfes’ Dötlingen begeben” wollten. Derartige “Exkursion” führt, so hieß es in der reißerischen und geschichtsvergessenen Einladung, zu “Kultstätten der Nationalsozialisten”.
Der kollektive Besuch des in Dötlingen installierten Nazi-Steines, den die Organisierenden mit blumigen Worten beschrieben, sollte offenbar das Interesse wecken. Die in Oldenburg und Umgebung relevante “Nordwest-Zeitung” (NWZ) zitierte das Schreiben zum Ausflug ins ehemalige “Gaumusterdorf”recht wohlwollend. Dort wurde der Nazi-Brocken “als Denkmal für die ‘Machtergreifung'” bezeichnet.
Im Artikel idealisierte das Blatt dieses deutsche Dorf, wobei die weitgehend rechtskonservative Zeitung – fast wie damals der „Filmkurier“ – von einer “noch heute als pittoresk geltende Atmosphäre” schwärmte. Derartige Beschreibungen dürften der Vorsitzenden des Heimatvereines gefallen. „Wir sind noch heute ein Musterdorf“,hieß es von Seiten dieser deutschen Heimatschützerin, deren Dorf die völkische Vergangenheit größtenteils verschweigt.
NS-Stätten als Ausflugsziele
Exkursionen, die in Dötlingen begannen, endeten in den vergangenen Jahrzehnten oft im benachbarten Lohne: Das Event des Museums fand ebenfalls am nahen “Schlageter-Denkmal” einen zum Abstecher passenden Abschluss. Leo Schlageter war schließlich ein nationalistischer “Freikorps”-Aktivist, der mehrere Sprengstoffanschläge beging, wofür er von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt wurde. Der völkische Verstorbene avancierte zu einer frühen Ikone der NS-Bewegung.
Die “natur- und denkmalgeschichtlich völlig uninteressante” Steinsammlung zu Lohne ehrt diesen Antisemiten bis heute. Wie der NS-Brocken im benachbarten Dötlingen, der mit der gleichen Einordnung zu beschreiben ist, gilt das “Schlageter-Denkmal” als ein beliebter Wallfahrtsort für alte und neue Nationalsozialisten. Die Tatsache erwähnten weder das Museum noch die Lokalzeitung, die den Abstecher bewarb, aber auf kritische Einordnungen verzichtete.
Solche Einordnungen fehlen auf den Schildern im ehemaligen „Gaumusterdorf“ ebenfalls. Im früheren Schulungszentrum der Hitler-Jugend wird heute geheiratet, während das Hinweisschild die Geschichte des Hauses verschweigt und seine Symboliken umdeutet. Manchen geht das offenbar nicht weit genug. So gab es„Anträge, den Stein wiederaufzurichten“, während der NS-Heimatfilm „Das alte Recht“ in den vergangenen Jahren im Dorf mehrfach aufgeführt wurde. In Dötlingen, dieser Schreckenskammer der deutschen Provinz, steht die kritische Aufarbeitung der völkischen Vergangenheit offensichtlich weiterhin aus.
Die antifaschistische Struktur “Auf Abstand”weist darauf hin, dass der in Oldenburg vielfach entfernte Aufkleber “aktuelle Erzählungen der verschwörungsideologischen Bewegung” zusammenfasst. Es ginge um “Hetze gegen die Grünen, Anti-Impf Propaganda” sowie NS-Relativierung. Schließlich finden sich zwei SS-Totenköpfe auf den Aufklebern, mit denen hiesige Verschwörungsgläubige zumindest stilistisch an ein vorheriges Machwerk anknüpfen. Im März verbreiteten Corona-Nazis einen Kleber mit der Aufschrift “Impfung macht frei”.
Diese besonders ungeheure Verharmlosung des deutschen Vernichtungsantisemitismus führt der aktuell kursierende Aufkleber mit dem Emblem der “SS-Divison Totenkopf” fort. So verbinden die Verantwortlichen unverwechselbare Signets: neben der Sonnenblume der Partei “Die Grünen” finden sich die gekreuzten NS-Knochen über dem Totenschädel. Ob die den Nationalsozialismus verharmlosende Verknüpfung für die so oft bagatellisierende Polizei ebenfalls “durch die Meinungsfreiheit getragen”ist, bleibt indes abzuwarten.
In der “Ostfriesen-Zeitung” (OZ) vom 22. April findet sich ein bestürzender Text, der die verschwörungsideologische Partei “Die Basis” verharmlost. Ein Gruppenfoto zeigt den Vorstand des Kreisverbands Aurich-Emden. Die Corona-Leugnenden, angeführt durch die ehemalige CDU-Politikerin Silvia Lübcke, posieren vor dem bereits im Nationalsozialismus beliebten “Upstalsboom”.
Den im ostfriesischen Aurich liegenden Stein nutzten NSDAP-Strukturen zur Inszenierung eines ostfriesisch-völkischen “Deutschtums”. Das als zukünftige “Thingstätte” vorgesehene Gelände entwickelte sich zu einem “idealen Platz für (…) Aufmärsche”. Die während der Corona-Pandemie gegründete Partei knüpft mit dem Foto, das die Lokalzeitung neben dem werbenden Schreiben abdruckte, an nationalsozialistische Praxis in Ostfriesland an. Ansonsten bietet “Die Basis” verschwörungsideologische Politik und entsprechendes Personal.
Das Vorstandsmitglied Martina Krumkamp ist auf der Aufnahme zu sehen. Über ihre Facebook-Seite verbreitet diese Aktivistin vielfach antisemitische und NS-relativierende Propaganda. Wie viele Verschwörungsgläubige teilt die Akteurin in einschlägigen Telegram-Kanälen kursierende Grafiken, die zur Verbreitung der typischen Motive dienen: Es gehe um Jahrzehnte der Manipulation, durch die “wir alle verarscht”werden. Krumkamp mobilisiert gegen den Shoa-Überlebenden George Soros, der im Zentrum antisemitischer Verschwörungslegenden steht. Diese rasch zu recherchierende Tatsache benennt der Artikel der “Ostfriesen-Zeitung” nicht.
Stattdessen erhält Silvia Lübcke in der Tageszeitung ausführlich das Wort. In direkter und indirekter Rede darf das Ratsmitglied aus Aurich ihre Partei bewerben. Die aus der CDU ausgetretene Lokalpolitikerin arbeitet eigentlich als Schaustellerin. Das Blatt inszeniert diese Wortführerin aber als Kritikerin von “Corona-Regeln”. Die politischen Ansichten dieser “Die Basis”-Anführerin aus Ostfriesland bleiben im Dunkeln.
Dass Lübcke gleichfalls Antisemitismus und Antikommunismus bedient, können Lesende nach Lektüre des “OZ”-Artikels nicht wissen. Dabei reicht ein Besuch ihres Facebook-Profils aus, um sich von den verschwörungsideologischen Vorstellungen der Politikerin zu überzeugen: Die Lübcke leugnet nicht nur die Gefährlichkeit einer SARS-CoV-2-Erkrankung, sondern hetzt vielfach im Netz, wobei sich auf ihrem Facebook-Profil antisemitische und antikommunistische Motive finden.
Die Autorin des “OZ”-Artikels verzichtete offenbar auf grundlegende Recherchen. Stattdessen erhielten Lübcke und Krumpkamp einen Text, der die verschwörungsideologische Prägung der Partei und die Anschauungen ihrer Mitglieder weitgehend ausblendet. Kein Wunder, dass “Die Basis”-Akteure ihrer Freude über den Persilschein, der frei von kritischen Einordnungen ist, Ausdruck verliehen.
Es ist nicht der einzige Zeitungsartikel, der in den vergangenen Wochen zur “Basis” erschien. Eine in der Nähe arbeitende Gliederung der Kleinpartei durfte sich ebenfalls über kostenlose Werbung freuen. Schließlich stellte die “Nordwest-Zeitung” (NWZ), die im benachbarten Oldenburg erscheint, “Die Basis” ebenfalls vor. Kritik blieb wie im Falle der ostfriesischen Berichterstattung aus. Dass die Gruppe aus Oldenburg im Rahmen der Kreisverbandsgründung über die Erschießung des niedersächsischen Ministerpräsidenten debattierte, war diesem Blatt bislang keine Zeilen wert.
In Oldenburg versammelten sich Anfang April wenige Demonstrierende, die am „Ostermarsch“ teilnahmen. Ganz analog kamen Mitglieder von der sogenannten Linkspartei, von “Fridays for Future” und von der Endzeitsekte “Extinction Rebellion” am Hauptbahnhof zusammen. Teilnehmende lauschten den umfassenden Ausführungen eines Pfaffen. Bert Gedenk reiste aus Ostfriesland an. In den vergangenen Jahren fiel der “Friedensbeauftragte der Evangelisch-reformierten Kirche” durch rabiate Unflätigkeiten gegen den israelischen Staat auf. Mit einem Boykott-Apell wandte er sich im Rahmen von theologischen Debatten sehr deutlich gegen den “bewaffnete[n] Versuch der Juden, den Kommunismus lebend zu erreichen“ (ISF).
Aufruf und Ansprache
Im Aufruf outeten sich die Organisierenden vom “Oldenburger Friedensbündnis“ erneut als deutsche Idealisten, die auch zu Ostern “im Sinne einer lebendigen Demokratie” streiten wollten. Mit ihren Forderungen positionierte sich die Struktur gegen in Deutschland gelagerte Atomwaffen des US-Militärs, das nach dem achten Mai 1945 verständlicherweise auf deutschem Boden verblieb. Ähnliche Ansichten wie die Organisierenden vertritt der christliche Hauptredner aus Emden. Seit 1996 arbeitet der Pfarrer für die dortige evangelisch-reformierte Gemeinde.
In seiner “Ostermarsch”-Rede zu Oldenburg pries Gedenk, der außerdem im “Emder Friedensforum” aktiv ist, zunächst eine “Völkerfamilie dieser Welt”, die aufgrund eines ratifizierten Vertragswerks zum Atomwaffenverbot einen Grund zum Feiern hätte. Im Anschluss wandte sich der Prediger gegen die atomare Bewaffnung; und zwar vor allem von ganz bestimmten Staaten. Im Rahmen seiner Ausführungen empörte sich der Redner außerdem über “Medien”, denen er eine unsachgemäße Berichterstattung zum Vertragswerk vorwarf.
Am Beispiel der “Ostfriesen-Zeitung” (OZ) wurden diese Berichterstattenden vom Priester als “Feind des internationalen Rechtes” gebrandmarkt. Anschließend monologisierte der friedensbewegte Christ von “der Wurzel des Übels”, gegen die sich die erhoffte “Tat” richten müsse. “Von Menschen gemachte Götzen”, warnte der Pfaffe, “erkennt man immer daran, dass sie Menschenopfer wollen und Menschenleben fressen”. Dass der ostfriesische Evangele mit solchem Sermon an Bilder des christlichen Antijudaismus anknüpfte, erregte vor Ort keinen Widerspruch.
Sorge um Deutschland
Gedenk ergötzte sich wenig überraschend auch zu Ostern in Oldenburg an der Bibel, aus der er vielfach zitierte. Dieses “Opium” (Marx) erschien ihm als “Buch der Aufklärung und Befreiung”. Am Hauptbahnhof formulierte der Prediger auf dieser Basis abschließende Forderungen, die sich gegen amerikanische Atomsprengköpfe richteten. Es ginge darum, so der in nationalen Kategorien agitierende Gedenk, “alle Atomwaffen von deutschem Boden, also die amerikanischen in pfälzischen Büchel, so wie es die breite Mehrheit unseres Volkes beschlossen hat, auch wirklich zu entfernen” (Rechtschreibfehler im Original).
Abschließend beklagte der ostfriesische Deutsche ganz idealistisch einen “Rechtsbruch gegen das deutsche Volk”. Es handele sich um einen echten “Skandal”, empörte sich der auf dem Bahnhofsvorplatz empörende Priester. Vor Friedens-Flaggen und “Fridays for Future-Fahnen” wurde vom “Ausverkauf der Demokratie durch unsere Regierung“ gesprochen. Mit diesem Topos des Anti-Amerikanismus forderte der Agitierende den Aktivismus der Teilnehmenden. Diese sollten “nicht als Kämpfer in eigener Sache, sondern im Einsatz für den einen großen Frieden“ aufstehen.
Bert Gedenk tritt nicht nur als Sprecher vom “Emder Friedensforum” und als der “Friedensbeauftragte” seiner Kirche auf. Schließlich ist der evangelische Akteur das Mitglied einer ostfriesischen Struktur, die sich vorgeblich einem “theologisch-gesellschaftspolitischen Diskurs” widmet. In diesem Rahmen forderte der “Arbeitskreis” zunächst den Boykott und dann die Abschaffung Israels. Das belegt ein Papier, das seine Gruppe schon vor Jahren publizierte.
Pfaffen gegen den Judenstaat
Lange Zeit vor der Osterpredigt am Hauptbahnhof befasste sich Gedenk mit angeblichen “Realitäten” zum “Konfliktfeld Israel” und “Palästina”. Zu seiner phantasievollen Darstellung gehörte 2013 die blutig-blumige Beschreibung von Staatsgrenzen, die Israel von den palästinensischen Autonomiegebieten teilt. Gedenk und seine Compagnons mieden jede Sachlichkeit. Sie schrieben stattdessen über eine “Trennmauer, die Dörfer und Städte zu Gefängnissen” machen würde.
Es folgte eine anti-israelische Anklageschrift mit vielen Unterpunkten. Dort führte der “Arbeitskreis” um Gedenk unter anderem den “Diebstahl von Land durch israelitische Siedlungen” auf. In einem an die Sprache des völkischen Antisemitismus erinnernden Jargon klagten diese Predigenden außerdem über die angebliche “systematische Zersiedelung palästinensischen Lebensraums” (sic!).
Gedenk und die beiden Mitverfassenden verharmlosten die Shoa. Das deutsche Menschheitsverbrechen bagatellisierten sie durch Gleichsetzung mit Geschehnissen im Rahmen des israelischen Verteidigungskriege, die der Staatsgründung von 1948 folgten. In Bezug auf die industrielle Vernichtung munkelten die Schreibenden um Gedenk während dessen von einer “Gefangenschaft in Schuldgefühlen gegenüber Israel”.
Boykottaufruf gegen Israel
Die Dämonisierung des jüdischen Staats zieht sich wie ein roter Faden durch das Papier, mit dem Gedenk und seine Kollegen zunächst einen “Kaufboykott” gegen Israel forderten. In Anlehnung an die antisemitische „Boycott, Divestment and Sanctions“-Struktur (BDS) wünschte sich ihr “Theologischer Arbeitskreis” sogar einen “Kaufverzicht”, der sich gegen jüdische Israelis richten sollte. Es ginge keineswegs darum, “nicht bei ‘Juden’ zu kaufen, weil sie Juden sind”, hieß es zu Beginn verteidigend.
Gefordert wurde stattdessen der Boykott von israelischen Personen, die sich laut Gedenk und seinen Compagnons “fremdes Land (…) auf Kosten anderer angeeignet” hätten. Sie forderten daher “den Aufbau” von “notwendigem Außendruck”. Das Handeln gegen Israel würde auch dazu dienen, den Judenstaat “vor weiterem Unrecht gegen Gott und die Menschen zu bewahren”.
Außerdem ginge es darum, “den Palästinensern das Land (…) zurückzugeben, das ihnen zusteht”. Die BDS-Apologeten um Gedenk verglichen den eingeforderten Boykott von israelischen Jüdinnen und Juden mit dem “Kampf gegen die Apartheid in Südafrika“. So reproduzierten sie schon damals ein bis heute wichtiges Motiv der antisemitischen Boykott-Bewegung.
Wunsch nach Vernichtung
Dass die Veröffentlichung offenbar weiterhin aktuell ist, zeigt sich auch daran, dass sie sich 2021 auf der Internetseite eines christlichen “Solidaritätsnetzwerks” findet. Die sich für “Unterstützung des Boykottaufrufs gegenüber Waren aus völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen” einsetzende Vereinigung lobt die fünfzehnseitige Veröffentlichung von Gesine Jannsen, Dr. Eberhard Mechels und Bert Gedenk, weil sie “zu klarer Positionierung und zu konkretem Handeln” aufrufe.
Vielleicht liegt das an den abschließenden Ausführungen von Gedenk und Co. Dass es für die drei Pfaffen 2013 offenbar nicht beim Boykott bleiben sollte, sondern es ihnen um die Auflösung des israelischen Staates ging, machten sie zum Ende der für den christlichen Israel-Boykott noch heute relevanten fünfzehn Seiten deutlich. Diesem für vom weltweiten Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden existierenden Schutzraum wünschten die christlichen Theologen die Abschaffung.
Die Forderung nach Aufhebung des Staates, der auch durch Überlebende der Shoa begründet wurde, beendete den Sermon der ostfriesischen Geistlichen. Schließlich schwebte ihnen vor Jahren ein allerdings noch zu schaffender “Rechtsstaat” vor. Dieser sollte “Juden und arabische Christen und Muslime gleichermaßen“ dienen. Vielleicht, so unkte der anti-israelische Zusammenhang, ginge es auch um eine “dritte, noch ganz unbekannte Lösung oder Zwischenlösung” (sic!).
Verschwörungsredner und Feigenblätter
Bert Gedenk passt hervorragend zum hiesigen Ostermarsch, der in den vergangenen Jahren zahlreiche Redende mit ähnlichen Inhalten nach Oldenburg brachte. Die Organisierenden luden mit dem ehemaligen Militär Jürgen Rose zum Beispiel 2018 einen verschwörungsideologischen Soldaten der Querfront ein. Der munkelte, dass die “Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Kriegs (…) auf Kommando der US-amerikanischen Imperialmacht (…) umgebaut wurde”, bevor er eine “sicherheitspolitische Alternative gegen die US-amerikanische Form von Amok-Politik” forderte.
Nach diesem anti-amerikanischen Akteur durfte im folgenden Jahr ein Vertreter der antisemitischen Gruppe “Bremer Friedensforum” sprechen. In dessen Rede wurden die “völkerrechtswidrige Annexion des Golan durch Israel” sowie amerikanische Atomwaffen auf deutschem Boden beklagt. Durch einen Code, “alternative Medien”,empfahl der Sprecher damals die Lektüre der Propaganda von Verschwörungsproduzenten.
Zugehörige Wortführer ließen sich in den vergangenen Jahren im Rahmen von verschwörungsideologischen Events erleben. Vielfach sprach Reiner Braun, der 2017 in Oldenburg ähnliche Inhalte hervorbrachte, obwohl er zuvor unter anderem als Akteur der “Friedenswinter”-Querfront agierte. Auf dem damaligen Ostermarsch warf er dem Judenstaat unter anderem die “Unterstützung von Landraub” vor, während er eine deutsche “Unterwerfung unter die Politik der USA” beklagte.
Die auf Aktionen vielfach vorgenommene Konstruktion eines weltbeherrschenden, amerikanischen Antagonisten, der auch im verschwörungsideologischen Friedensaktivismus dem Frieden der “Völker” entgegensteht, ergänzt “Fridays for Future” seit einigen Jahren durch umweltpolitische Ansprachen. Auch 2021 gab es eine Rede der Umweltorganisation. Beifall gab es zumindest in diesem Jahr durch Akteure, die zur esoterischen Endzeitsekte “Extinction Rebellion” gehören.
“Allein das US-Militär”, so ein FFF-Feigenblatt, “verbraucht mehr fossile Energieträger als ganz Afrika“. Mit solchen Sätzen bot “Fridays for Future” zu Ostern eine ökologisch erscheinende Ergänzung, die zum klassischen Anti-Amerikanismus des Geistlichen passte. Der sprach, wie andere Redende der Vorjahre, zu Ostern fast ausschließlich gegen die USA, wobei die offenen anti-israelischen Ausfälle zumindest in diesem Jahr vor dem Hauptbahnhof ausblieben.
“Fridays For Future” und “Friedensbündnis”: Mobilisierung zum Ostermarsch (2020)
Kritik im Handgemenge
Die Abschaffung des Judenstaats, der als “Reaktion auf das Dementi aller Versprechungen der bürgerlichen Nationalrevolution” entstand und “als Antwort auf den stalinistischen Verrat an der kommunistischen Weltrevolution” (ISF) materielle Gewalt wurde, war 2013 ein finales Ziel dieses im Jahr 2021 in Oldenburg redenden Pfaffen. Der Traum von der Vernichtung Israels, dieser nur “als zu spät gekommene Notwehr gegen den Massenmord an den europäischen Juden” (ISF) zu begreifenden Staatlichkeit, dürfte die Organisierenden vom “Friedensbündnis” nicht stören. Schließlich positionierte sich Struktur selbst immer wieder gegen Israel.
Im Aufruf zum Ostermarsch des Jahres 2017 wollte die Gruppe vor allem einen “Flächenbrand im Nahen Osten (…) stoppen”, für den sie offenbar Israel verantwortlich macht. Neben innenpolitischem Reformismus, der sich gegen die Bundeswehr und die NATO richtete, wendete sich das “Friedensbündnis” explizit gegen Israel: “Die Duldung der israelischen Besatzungs- und Außenpolitik muss beendet werden”, forderte die Struktur, die auch in diesem Jahr die Zusammenkunft organisierte, im damaligen Aufruf.
Bei einer vorherigen Veranstaltung der Gruppe sprach sich Wolfgang Gehrcke, Autor mit Verschwörungsinhalten, nach Einladung des “Friedensbündnis”gegen“Antideutsche” und für die Verteidigung der BDS-Bewegung aus, wobei anwesende Antisemiten der Boykott-Truppe den Persilschein mit lautem Beifall quittierten. Dass sich der damalige Fraktionsvorsitzende der sogenannten Linkspartei in seinem Buch auch auf einen rechten Holocaust-Leugner beruft, störte die Einladenden offenbar nicht.
Formen deutscher Demagogie kennzeichnete bereits die klassische “Friedensbewegung” in den 1980er Jahren. In Deutschland sei “nichts ungefährlich, nicht mal die Begeisterung für den Frieden”, warnte Wolfgang Pohrt damals. Sein Urteil bleibt weiterhin aktuell. Das zeigen Inhalte, die Prediger für das “Oldenburger Friedensbündnis” alljährlich auf dem “Ostermarsch” oder bei einer der raren Veranstaltungen verkünden.
Vor Ort gab es wie in den Vorjahren keinen Widerspruch gegen die Manifestation deutscher Demagogie. “Die Linke”wünschte sich nach der diesjährigen Zusammenkunft stattdessen “im nächsten Jahr” einen “Ostermarsch wieder wie gewohnt”. Dass sich sozialdemokratische Parteien wie “Die Linke” oder links-liberale Organisationen wie “Fridays for Future”, nach mehreren Jahren der konkreten Kollaboration mit dem friedensbewegten Antisemitismus, endlich von dem reaktionären österlichen Ritual distanzieren, ist ebenso wenig wie nötiger Widerspruch durch antifaschistische Gruppen aus der Region zu erwarten.
Wolfgang Gehrcke, im Jahr 2017 stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Vorstand der sogenannten Linkspartei, empörte sich bei seiner damaligen Lesung in Oldenburg über eine Flugschrift, die Kritik seines israelbezogenen Antisemitismus mit einer Parole gegen Deutschland verband.
Der komplette Auftritt des sozialdemokratischen Verschwörungsgläubigen findet sich auch Mitte 2021 auf der ungepflegten YouTube-Seite des Kreisverbands für Oldenburg und das Ammerland. Dass dort bis heute zu sehen ist, wie der verschwörungsideologische Stichwortgeber minutenlang die antisemitische BDS-Bewegung verteidigt, ist dieser politischen Struktur zu verdanken. Offenbar möchte “Die Linke” aus meiner deutschen Kleinstadthölle weiterhin mit solchen Inhalten auf YouTube werben.
Soeben bin ich von einer typischen von deutschen Genossen organisierten Versammlung zurückgekehrt. Der große Saal war gestopft voll. Kein Wunder auch, hatten doch die Sozialisten eine ‘deutsche Versammlung’ angekündigt, ohne zu sagen, dass eine Russin sprechen würde, noch dazu eine internationalistisch eingestellte Sozialistin! Alle möglichen Leute waren gekommen, eine Menge Spießer, brave deutsche Bürger. Auf ein paar Hundert kamen ein, zwei Dutzend Frauen.
Nach der Versammlung ist alles ganz anders als bei den amerikanischen Kundgebungen. Dort kommt man zu mir, sagt mir in herzlichem Ton: ‘Eine glänzende Rede. Gerade das haben wir uns gewünscht: mehr revolutionären Geist in der Bewegung’. Gewöhnlich kommen Proletarier mit sympathischen, ehrlichen Gesichtern; sie schimpfen auf die führenden Leute, sind voller Enthusiasmus und Glauben an die Massenbewegung
‘Die amerikanischen Arbeiter vermögen keine Opfer zu bringen’, beklagen sich die Deutschen über sie. ‘Da haben sie gerade erst eine Gewerkschaft organisiert, doch statt zunächst durch ordentliche Beitragszahlungen die Kasse zu stärken, zetteln sie gleich einen Streik an.’
Eine typisch deutsche Argumentation: Die Organisation ist Selbstzweck.”
Unterwegs in Oldenburg. Ein Straßenverkehrsteilnehmer bewirbt eine Internetseite zum Film “Earthlings”. Dieser manipulative Streifen verwendet eine perfide Gleichsetzung, um die Zustände in Schlachthöfen noch verstörender erscheinen zu lassen. Sein visueller Antisemitismus besteht aus Aufnahmen von KZ-Toten, die in Szenen von Fleischverarbeitung in Zuchtbetrieben übergehen. Dass der Holocaust gegenüber den täglichen Schlachtungen von Tieren an Bedeutung verliert, ist gewollte Intention des Films, den der friesische Fahrer empfiehlt.
Die Lobby-Gruppe PETA, die “Grundrechte von Tieren” realisieren möchte, bewirbt “Earthlings” ebenfalls vielfach. “Was hier zu sehen ist, ist nichts für schwache Nerven”, heißt es beispielsweise in jenem dumpf-deutschen Werbejargon, der nicht nur den Beitrag über die “Lieblingsdokumentationen” der Organisation prägt. Dass diese Struktur, die schon 2003 industrielle Vernichtung in deutschen Konzentrationslagern mit Fleischkonsum gleichsetzte, auch in den 20er Jahren des 21. Jahrtausends vom antisemitischen Inhalt der Dokumentation schweigt, muss angesichts gleichbleibender Gleichsetzungen durch PETA nicht verwundern.